Mono, Poly & Co

Dein Wissens-Podcast rund um Beziehungsgestaltung

#71 - Interview: Dirk - Neurodivergenz

AD(H)S, Autismus und Co

16.02.2025 88 min

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Folge spreche ich mit Dirk über Neurodivergenz und deren Einfluss auf Beziehungen. Wir definieren, was Neurodivergenz bedeutet, und diskutieren, welche Herausforderungen und Chancen sich daraus in Partnerschaften ergeben. Dirk teilt wertvolle Einsichten aus seiner eigenen Erfahrung als neurodivergente Person und gibt praxisnahe Tipps, wie neurodivergente und neurotypische Menschen ihre Beziehungen gestalten können. Wir sprechen über Coping-Mechanismen, Kommunikation und Strategien für ein harmonisches Miteinander.

Themen der Folge
  • Was bedeutet Neurodivergenz und warum ist sie in Beziehungen relevant?  
  • Wie äußert sich Neurodivergenz im Alltag und in Partnerschaften?  
  • Coping-Mechanismen vs. Masking – Strategien für mehr Selbstakzeptanz  
  • Kommunikationshürden und Lösungswege  
  • Warum sich neurodivergente Menschen oft in polyamoren oder offenen Beziehungen wiederfinden  
  • Wie man “artgerechte” Beziehungen gestaltet  
  • Praktische Tipps für neurodivergente Menschen und ihre Partner:innen  

Gast dieser Folge
🎙️ Dirk – leitet eine neurodivergente Austauschrunde in Köln und engagiert sich für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz neurodivergenter Menschen.
  • Mehr über Dirk: Herz + Verstand 
  • Kontakt: dirk@herz-plus-verstand.de
  • Dirks Podcast (Archiv): Resonanz 
  • Stammtisch für Neurodivergenz in Köln: “Neurospicy Get-Together” (NSGT)
    Wann: jeden 2. Montag im Monat, 19:00 - 21:00 Uhr (weiches Ende)
    Wo: lifelab, Ebertplatz 23, 50668 Köln (im Untergeschoss)
    Es gibt keine Teilnahmegebühr – Spenden sind möglich
    Bitte beachte:
    Es handelt sich um eine Initiative von und für Betroffene und ist ausdrücklich kein ärztlicher oder psychologischer Rat. Daher können wir auch keinen Raum für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und/oder sehr starkem Leidensdruck schaffen und halten.

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Transkript

Hallo und herzlich willkommen bei Monogamie, Polyamorie und Co., dem Wissenspodcast zum Thema Beziehungen in allen Formen. Üblicherweise findest du hier frei zugänglich, sehr kondensiert und gut recherchiert Wissen, Handlungsmöglichkeiten und die Antwort auf übliche Fragen zu Beziehungen in aller Art. Wir, das ist ein Team aus Menschen, die sich mit den Fragen rund um die Themen Beziehungsqualität und Beziehungsformen beruflich und ehrenamtlich beschäftigen und dabei Wissenschaft, Szeneinsights und persönliche Erfahrungen mit einbeziehen. Mein Name ist Sonja Jüngling, hauptberufliche Paarberaterin und Wissensvermittlerin für Menschen, die über ihre Beziehungsform nachdenken. Uns ist es wichtig, unterschiedliche Lebensentwürfe und Sichtweisen zu zeigen sowie ExpertInnen zu Wort kommen zu lassen. Deshalb gibt es neben den Wissensfolgen und den Folgen aus der Praxis immer mal wieder eine Interviewfolge. Solltest du jemanden kennen, dessen Wortbeitrag du hier wertvoll findest, lass es uns gern wissen, auch wenn es dich selbst betrifft. Wir freuen uns, wenn du dich zeigen magst mit deiner Beziehung, deinen Sorgen und Nöten, aber natürlich auch mit all deinen Erfolgen und Gedanken aus deiner ganz individuellen Beziehungswelt. Und nun viel Spaß mit der heutigen Folge von MoPoCo, dem Wissenspodcast zum Thema Beziehungsvielfalt. Moin zusammen. Wie immer möchte ich euch vor dem Interview einen kurzen Ausblick geben, über was wir geredet haben. Es war so geil. Wir haben die Definition von Neurodivergenz durchgesprochen, darüber gesprochen, warum das in Beziehungen wichtig ist. Und so viele Lösungsideen gegeben, wie ich mit anders sein umgehen kann und wie ich in die Wertschätzung kommen kann. Und es war einfach richtig, richtig schön. Also ich wünsche dir ganz viel Spaß mit Dirk, der einen Stammtisch zum Thema Neurodivergenz leitet und einfach einen tollen Blick auf Neurodivergenz und das Leben insgesamt hat. Viel Spaß! Hallo zusammen und willkommen zu einer neuen Folge bei Mono, Poly & Co. Heute eine für mich total wichtige Folge. Heute soll es nämlich über Neurodivergenz gehen. Und bevor ich euch meinen Interviewpartner heute vorstelle, möchte ich euch erklären, was Neurodivergenz ist. Aber bevor ich das mache, sage ich erstmal Hallo Dirk.
Dirk
00:02:14
Hallo!
Sonja Jüngling
00:02:14
Schön, dass du da bist. Ich freue mich total auf diese Folge schon ganz lange, weil Neurodivergenz in meinem Leben eine große Rolle spielt. Meine Tochter hat nämlich eine ADHS-Diagnose und ich weiß seit zwei Jahren, dass ich Neurodivergent bin. Die Anteile davon werden wir noch gucken und heute ist der ADHS-Anteil sehr laut. Der Dirk hat das schon bemerkt, weil ich nämlich heute ganz fahrig und durcheinander bin. Das heißt, heute darf ich besonders darauf aufpassen, dass ich nicht zu schnell rede und meine Sätze beende. Ich kann nämlich ganz prima reden, ohne einen Punkt zu setzen. So, das war jetzt die Einleitung. Viel länger als gedacht. Was ist Neurodivergenz, Dirk?
Dirk
00:02:52
Ja, gute Frage. Ich bin wahrscheinlich nur einer von vielen, der dazu eine Meinung haben kann. Ich würde es ausdrücken als Baupläne oder Bauweisen des menschlichen Gehirns, die von dem gesellschaftlichen Durchschnitt abweichen. Also sowohl Menschen mit ADHS als auch Menschen auf dem Autismus-Spektrum. Viele zählen auch beispielsweise Lese-Rechtschreib-Schwächen dazu oder besondere Formen des Mutismus. Also irgendeine Art und Weise, wie das Gehirn leicht anders verdrahtet ist, als wir das normal nennen würden. Was auch immer normal heißen mag, aber der große Begriff Neurodiversität schließt eben alle Hirnstrukturen, alle Verdrahtungsweisen, alle Aufmerksamkeitsabweichungen mit ein. Und das ist auf jeden Fall was, was ich glaube, was man kennenlernen und zelebrieren darf.
Sonja Jüngling
00:03:38
Ja, da sprichst du was Wichtiges an. Neurodivergenz ist nämlich keine Krankheit, sondern es ist einfach eine andere Hirnstruktur. Und du hast schon ganz viele Dinge genannt, die unter Neurodivergenten-Typen zusammengefasst werden. Manche zählen auch Hochsensibilität dazu oder Inselbegabung oder Hochintelligenz. Manche zählen auch Hypermobilität dazu, weil ganz häufig kommen diese Sachen zusammen, wenn ich eine nicht neurotypische Person vor mir habe. Also ADHS, ADS, Autismus, Hochsensibilität, Hochintelligenz oder Hochbegabung und Hypermobilität. Genau. So, jetzt kommen wir zu deiner Vorstellung. Vielen Dank dafür erstmal. Warum weißt du da so viel drüber? Magst du dich ein bisschen vorstellen? Wer bist du?
Dirk
00:04:27
Ja, kann ich gerne machen. Ich bin der Dirk, 36, aus Köln und habe jetzt seit einem Jahr, anderthalb ungefähr, meine Asperger-Autismus-Diagnose. Also streng genommen nach den neuesten Diagnose-Kriterien wäre das die Autismus-Spektrum-Störung. Das ist alles zusammengeworfen worden in einen großen Topf, in ein großes Spektrum. Und ich wusste irgendwie mein ganzes Leben lang schon, dass ich scheinbar die Welt anders wahrnehme, beschreibe, verarbeite, navigiere als die meisten Menschen in meinem Umfeld. Ich hatte noch nie wirklich einen Namen dafür. Ich habe mich dann irgendwann angefangen zu beschäftigen mit ADHS, weil ich gemerkt habe, dass mich Dinge, die mich begeistern, sehr leicht packen können und ich da sehr gut fokussiert bin. Ich habe Schwierigkeiten, habe mich zu begeistern für Dinge, die mich gar nicht interessieren. Das ging auch so weit, dass ich für Klausuren, von denen ich wusste, dass ich es jeden drei Wochen schreibe, nicht lernen konnte, bis drei Tage vorher und dann mit aber komischsten Lern- und Schlafrhythmen mich da durchgeprügelt habe. Aber immer erfolgreich. Also ich wusste, ich bin anders und das ist okay so. Nur ich wusste halt nicht, dass andere ähnlich anders sein könnten. Und ich habe dann durch eine Beziehungspartnerin kennengelernt, dass sowohl ADHS als auch Autismus sehr viele Ähnlichkeiten haben können. Und hatte bei ihr jetzt beobachtet, dass ich mich mit ihren autistischen Merkmalen durchaus stärker verbunden fühle als mit ihren ADHS-Merkmalen. Also sich irgendwo dran zu stoßen, Dinge zu vergessen, Zeitpläne zu vergessen, Zeiträume falsch einzuschätzen. Das sind keine Probleme, die ich groß habe. Auf korrekte Beschreibungen zu achten oder bestimmte Situationen in Entscheidungsbäumen und Wahrscheinlichkeiten durchrechnen, um zu gucken, was ist hier die sozialste Antwort, die ich geben kann. Und halt auch eine immer gewisse Ablehnung gegenüber Hierarchien oder "das haben wir schon immer so gemacht"-Lebensweisen zu haben. Da habe ich mich dann durchaus verbunden gefühlt, den Diagnostikprozess angestoßen und sowohl eine Ausschlussdiagnose als auch eine positive Diagnose erhalten. Also je nachdem, wer sich mit mir unterhält und je nachdem, wie informiert die Person ist, können diese Menschen erkennen, dass ich autistisch bin oder nicht.
Sonja Jüngling
00:06:36
Das letzte habe ich nicht verstanden.
Dirk
00:06:38
Ja, also bei den psychologisch-psychiatrischen Diagnosen oder auch den neurologischen Diagnosen hängt die Diagnosestellung häufig von der diagnostizierenden Person ab. Also wenn ich zum Beispiel eine Person habe, die erkennt, dass ich absichtlich Augenkontakt suche, weil ich weiß, dass das erwünscht ist, kann sie erkennen, dass ich autistisch bin, weil das nicht natürlich ist. Aber wenn die Person halt denkt, Autistinnen können keinen Augenkontakt halten, dann falle ich unter dem diagnostischen Radar durch. Und das ist bei relativ vielen Menschen so, die beispielsweise ADHS oder Autismus haben und einen vergleichsweise niedrigen Leidensdruck haben, sich halt irgendwie durchs Leben durchgeschlagen haben bisher, dass die im Diagnoseprozess auch nicht unbedingt auffallen. Weil man halt irgendwie gelernt hat, damit umzugehen. Also die ganzen Anpassungsmechanismen, English Coping Skills, helfen einem durchs Leben, aber behindern den Diagnoseprozess. Und ich weiß, dass Leuten Augenkontakt wichtig ist. Ich finde den zu intensiv, würde den gern vermeiden. Aber ich weiß, dass Leute das komisch finden. Deswegen mache ich das denen zuliebe. Genauso wie, weiß ich nicht, Smalltalk halten oder auf Firmen feiern gehen. In meinem Kopf findet ein bewusster Entscheidungsbaum statt, wo ich denke, für mein langfristiges Wohlergehen in diesem Unternehmen ist es wichtig, dass andere mich sozial finden. Dann habe ich einen einfacheren Arbeitsalltag. Ich habe da kein Interesse dran, mit den Kolleginnen irgendwie was trinken zu gehen. Aber ich weiß, dass das für alle Beteiligten sinnvoll wäre, wenn ich das machen würde. Deswegen mache ich das.
Sonja Jüngling
00:08:02
Ja, vielen Dank, Dirk. Immer wenn ich mit dir rede, staune ich ja, weil du so viele Sachen so schön und exakt ausdrücken kannst und trotzdem die Beispiele nicht vergisst. Ich finde dieses, dass du erklärst und einordnest, was für Konsequenzen eigentlich diese andere Hirnstruktur hat. Also das hat mich, als ich das erste Mal kennengelernt habe, schon total geflasht, wie schön du das erklären kannst und wie plastisch du das erklären kannst. Und was du jetzt gerade gesagt hast mit dem, "ich weiß, dass es für alle Beteiligten das Beste ist, wenn…" Das finde ich auch eine schöne Formulierung. Ich gehe ja immer wieder auf psychische Gesundheit ein und das ist eine schöne Formulierung. Du hast sogar gesagt, alles, was für alle Beteiligten langfristig am besten ist. Das heißt, du hast auf dich auch drauf geguckt und hast gedacht, okay, ich habe da zwar jetzt gerade keinen Bock drauf und es ist schwer für mich, aber am Ende profitiere ich davon und deswegen möchte ich das gerne.
Dirk
00:08:56
Ja, es ist eigentlich Beziehungspflege.
Sonja Jüngling
00:08:58
Total.
Dirk
00:08:59
Zu überlegen, was kann ich im Hier und Jetzt tun, wie hoch sind die Kosten für mich im Hier und Jetzt und wenn die Kosten relativ gering sind, dann mache ich das, weil ich weiß, der langfristigen Beziehung ist das zuträglich. Man muss dann eben auch darauf achten, ist der Preis wirklich so niedrig, wie du gedacht hast. Manchmal überschätzt man sich, haut sich die ganze Woche mit Terminen voll und merkt dann so am Ende der Woche, ah, jetzt kommt die Erkältung durch. Na, der Körper hätte vielleicht auch schon einen Tag vorher Pause gebraucht und das eigene Energiesystem, das eigene Energiebudget zu managen, finde ich eine sehr große Herausforderung für eben Leute, die neurodivergent sind. Weil manchmal nicht absehbar ist, wie laut ist die Umgebung, wie ist das Licht dort, wie komme ich dort hin und zurück. Ich finde Straßenbahn und Bus fahren oder Züge fahren, die verspätet kommen, komme ich persönlich nicht gut klar mit als Autist. Ich finde das herausfordernd, diesen Lichtern, Geräuschen, Unberechenbarkeiten und auch teilweise einfach Gerüchen ausgesetzt zu sein. Und das unterschätzt man manchmal. Dann denkt man, ach ja, mit den Freundinnen oder Kolleginnen was trinken gehen, das ist ja nett, Aber du musst ja auch dahin, du musst auch zurück, du musst durch die Innenstadt vielleicht, du musst vielleicht an einem Bahnhof vorbei. Das kann alles ziemlich viel Energie kosten.
Sonja Jüngling
00:10:07
Ja, total. Ich sage ganz oft sowas ähnliches wie, also ich bin ziemlich sicher, dass ich auch autistische Züge habe, dass aber mein Daily Business eher ADHS-mäßig ist. Mir ist es egal, wie das am Ende heißt, aber es hilft mir natürlich zu verstehen, was kann ich tun dafür, dagegen, damit es mir besser damit geht. Aber was tatsächlich, was ich immer sage, Neurodivergenz bedeutet im Grunde genommen, Lust zu haben auf Neues und auf Input wie eine Achtjährige, aber Kapazitäten dafür wie eine Achtzigjährige. Weil ich ganz oft so denke, oh, das war so geil und dann bin ich im Hyperfokus. Das hast du vorhin erwähnt, der Hyperfokus ist, wenn mich ein Thema total begeistert, dass ich gar nicht merke, wie viel Zeit und Energie ich da reinstecke. Das ist, wenn man so versinkt in einem Thema und ich merke das dann einfach oft, oft nicht und dann zahle ich hinterher damit. Gerüche sind für mich auch ein Riesenthema. Geräusche, da habe ich dann Ohrenstöpsel, mit Gerüchen ist das schwierig. Aber ich finde das wirklich am herausforderndsten, das richtig einzuschätzen. Was kostet mich das?
Dirk
00:11:15
Ich finde es auch so herausfordernd, weil wir einige Sinne, die wir haben, bewusst einschränken oder filtern können. Du hast gerade schon Ohrstöpsel erwähnt oder halt Kopfhörer, vielleicht sogar mit Noise-Canceling. Damit kann ich dafür sorgen, dass ich meine Umgebung weniger wahrnehme, dass ich also die Intensität der Sinne auf diesem Sinneskanal reduzieren kann. Das Gleiche geht auch mit Augen beispielsweise. Wir haben hier in Köln eine Straßenbahnlinie, die kaltweißes, sehr grelles Licht hat. Und ich bin nicht die einzige Person, die in diese Straßenbahn mit einer Sonnenbrille einsteigt, weil ich Kopfschmerzen davon kriege. Ich bin Migräne-Patient, mich triggert das manchmal an schlechten Tagen. An guten Tagen bemerke ich das nicht groß oder habe irgendwie die Augen auf mein Smartphone gerichtet und bin dadurch abgelenkt. Aber ich habe bisher noch keinen Trick gefunden, wie man Gerüche ausblenden kann. Insbesondere irgendwie im Hochsommer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein, ist durchaus auslösend. Aber während Corona war das interessant, weil halt sowieso eigentlich jede Person eine Maske getragen hat. Da musste man nur dafür sorgen, dass man keinen Mundgeruch hat und dann rochst du okay. Das war eine lustige Umgehung dafür.
Sonja Jüngling
00:12:16
Ja, ich habe letztens einen richtig tollen Tipp gekriegt. Also mir ist natürlich klar, wenn mich ein Geruch nervt, mich auf einen anderen Geruch zu konzentrieren hilft. Und das passt zu der Maske. Man kann sich da ja Teebaumöl oder irgendwas reinmachen. Aber was ich jetzt von einer Klientin bekommen habe, den Tipp war, etwas scharfes Kauen oder Essen. Also Geschmack als Gegenpol quasi, weil die beiden Regionen sind ja in irgendeiner Form miteinander verbunden. Und dann einen starken Geschmack zu haben, das kann helfen, den Geruch nicht mehr als so nervig zu machen. Die Person sitzt in einem Büro mit einer Person, die krasses Parfüm benutzt. Und künstliche Gerüche sind für mich viel schlimmer als natürliche Gerüche. Und wenn dann Pfefferminzscharfes, Ingwerscharfes oder Pfefferscharfes gelutscht oder gekaut wird, dann hilft das.
Dirk
00:13:07
Da habe ich nur den Zusatzhinweis. Ich persönlich habe schlechte Erfahrungen damit, das zu kombinieren mit einer Maske. Weil es dann in den Augen brennt. Ich weiß nicht, ob andere das auch schon gemerkt haben, aber dann steht man irgendwie in der Bahn mit einer Maske und reibt sich die ganze Zeit die Augen und sieht ganz traurig aus. Aber eigentlich ist das nur, dass das Menthol in den Augen brennt.
Sonja Jüngling
00:13:25
Ja, stimmt. Guter Hinweis. Okay, du hast gerade noch, also ich habe mir ganz viele Notizen gemacht hier und es fällt mir ganz schwer, da alles hinzukommen. Wir sind nämlich noch mit deiner Vorstellung gar nicht vorbei. Aber du hast, du hast was ganz Wichtiges gesagt. Du hast vorhin über Coping gesprochen. Und mir ist es ganz wichtig, also das, was ich, was, dieser Satz, den du gesagt hast, was für alle Beteiligten langfristig das Beste ist. Das ist ja Coping. Das ist so, ich gucke darauf, wie geht es mir am besten, wie geht es den anderen am besten. Also alle Dinge, die wir haben, sind und tun, haben ja Vor- und Nachteile. Und natürlich hat auch Neurodivergenz manchmal Nachteile. Und was kann ich tun, um diese Nachteile auszugleichen, ist ja Coping. Was kann ich für andere tun, damit die sich durch meine Neurodivergenz nicht belästigt fühlen, wäre meine Definition heute an diesem Tag für Masking. Was ist deine?
Dirk
00:14:20
Ich würde dem ziemlich genau zustimmen. Also Masking ist das bewusste Anpassen meines eigenen sichtbaren Verhaltens, damit andere mir meine Neurodivergenz entweder nicht anmerken oder besser damit umgehen können. Und Coping wäre sowohl extern als auch intern Strategien zu entwickeln, die es mir einfacher machen, mit der Welt da draußen irgendwie klar zu kommen. Oder auch mit meinen eigenen Gedanken. Also ich weiß auch, dass ich einige Gedankenmuster habe, mit denen ich schwer klarkomme. Beispielsweise enttäuschte Vorfreude auf Events. Ich bin total gut darin, Zukunftsszenarien in meinem Kopf zu entwickeln und aufzubauschen und bin dann enttäuscht, wenn das nicht genau so läuft oder mindestens genauso gut wird. Und weil ich das weiß, versuche ich inzwischen auch schon diese Vorfreude eben zu dämpfen, mich auf andere Sachen zu konzentrieren oder einen Alternativplan zu entwickeln in meinem Kopf, falls der Hauptplan nicht funktioniert. Weil dann bin ich nicht planlos aufgeschmissen, sondern kann sagen, ah, heute mache ich entweder A oder B. Aber ich bin noch beides vorbereitet. Damit kann ich gut umgehen. Da würde ich jetzt nicht sagen, dass das Masking ist, weil es mit der Außenwelt nicht wirklich was zu tun hat. Ich mache das nicht anderen zuliebe, sondern weil es mir damit auch besser geht. Und da irgendwie so eine gesunde Mischung zu finden, kann durchaus herausfordernd sein. Insbesondere bei Leuten, die das ihr Leben lang gemacht haben, die ihr Leben lang maskiert haben und dann irgendwann gefragt werden, ja, was machst du eigentlich gerne? Und dann merken sie, ach, noch nie drüber nachgedacht, was ich eigentlich mag oder was mir eigentlich gut tut. Ich mache das, was andere von mir erwarten oder das, was ich gut kann oder das, wofür mich die Gesellschaft belohnt. Und da gibt es ja noch einen riesigen Blumenstrauß an Dingen, die man gerne macht, die mit der Gesellschaft gar nichts zu tun haben müssen.
Sonja Jüngling
00:15:56
Ja, total. Ich habe mal, also ich finde ein gutes, sehr praktisches Beispiel für Coping versus Masking ist, viele neurodivergente Menschen können am besten zuhören, wenn sie mit den Händen etwas anderes tun. Deswegen gibt es sogenannte Fiddler-Toys oder, ach, was, du hast bestimmt noch andere Begriffe dazu.
Dirk
00:16:18
Stimming-Toys. Also bei den Autisten wird es meistens Stimming genannt, bei den ADHS-Menschen meistens Fidgeting oder Fidget-Toys oder auf Deutsch rumfummeln oder die Finger beschäftigt halten oder irgendwie sowas.
Sonja Jüngling
00:16:30
Genau. Und das ist im Grunde genommen ja eine Hilfe, dass ich gut zuhören kann. So, wenn ich jetzt meine Finger beschäftige, indem ich an meinen Fingern knibbel oder an den Fingernägeln knibbel, dann ist das Masking, weil das ist gesellschaftlich akzeptiert. Wenn ich aber mit einem Stift rum, also mit einem Kuli Geräusche mache oder so ein, wie heißen diese Dinger, die ich gerade in der Hand habe, so ein Bubble?
Dirk
00:16:55
Bubble Toy oder so? Keine Ahnung. Aber es simuliert auf jeden Fall diese Luftfolie, Luftpolsterfolie.
Sonja Jüngling
00:17:01
Ja, genau. Das ist halt gesellschaftlich nicht wirklich, noch nicht, es wird immer besser, aber so ein Toy zu haben, was ganz explizit dafür da ist, meine Finger zu beschäftigen, das ist gesellschaftlich noch nicht überall in Ordnung. Und Coping wäre also, dass ich mir so ein Ding an den Schlüssel hänge zum Beispiel, dass ich immer was zum Fummeln habe. Und Masking wäre, dass ich knibbel und versuche, das so unauffällig wie möglich zu machen, damit ich keinen damit belästige.
Dirk
00:17:27
Ja, also würde ich grundsätzlich zustimmen. Ich finde es interessant, die Dinge, die wir normalerweise unter autistischem Stimming verstehen, sind meistens auch sehr aufmerksamkeitswirksam. Also Leute, die irgendwie vor und zurück wippen auf dem Stuhl oder so schaukeln oder mit dem Kopf hin und her wackeln oder andere Dinge. Ich finde die sehr stereotyp und überzogen. Es gibt Menschen, die das nutzen, um sich halt zu beruhigen, also repetitive Sinneswahrnehmungen erzeugen, weil sie merken, da draußen, das ist alles unkontrollierbar, aber hier habe ich was, an dem kann ich mich festhalten. Das ist mein Anker, das ist berechenbar. Darauf kann ich mich konzentrieren und mein Nervensystem beruhigen. Das ist ja eigentlich eine sehr funktionale Umgehensweise. Man könnte ja auch einfach Wut rauslassen. Aber stattdessen versucht man eben, sich selbst zu beruhigen, genauso wie beispielsweise ein Baby am Daumen nuckelt oder sowas. Und irgendwie haben wir als Gesellschaft, sind wir falsch abgebogen und glauben, dass Erwachsene diese Beruhigungsmechanismen nicht mehr brauchen. Und auch hier wieder, ich mache garantiert sehr viele Stimming-Techniken, die nicht groß auffällig sind, weil ich irgendwann gemerkt habe, das ist für die Situation und für mich auch langfristig entspannter. Also wenn ich jetzt irgendwie meinen Schlüsselpunt in der Hosentasche habe, da ist ein Karabiner dran, kann man hervorragend dran rumfummeln. Dann gehen die halt kaputt, das ist ein gewisser Verschleiß, das ist so die Autismussteuer, genauso wie die ADHS-Steuer ist, regelmäßig Dinge zu verlegen und zu verlieren oder, weiß ich nicht, Ja, oder geblitzt zu werden, weil man zu schnell gefahren ist oder weil man das Auto bergab ausrollen lassen wollte, statt zu bremsen und dachte, ja, das passt schon irgendwie. Also es gibt so ein paar Steuern, in Anführungszeichen, die neurodivergente Menschen bezahlen, wenn sie versuchen, mit der normalen Gesellschaft klarzukommen. Aber es gibt auch durchaus eben Stimming-Methoden, die nicht groß auffällig sind, wo ich aber nicht sagen würde, das mache ich, damit andere sich nicht gestört fühlen, Sondern ich weiß, wenn das jemand neben mir macht, zum Beispiel was sehr Hörbares, wie mit einem Stift immer auf und zu klicken. Mich würde es ja auch nerven, wenn das eine Person neben mir macht. Also mache ich das auch nicht mit einer Person, die neben mir sitzt, egal ob die jetzt neurodivergent oder neurotypisch ist. Aber das hat sich einfach so eingespielt und ich bin privilegiert genug, um in den meisten Arbeitssituationen beispielsweise in einem eigenen Raum zu sein. Insbesondere von zu Hause aus. Weil ich weiß, so wie ich arbeite und wie das aussieht und was für Geräusche das macht und wie laut ich Musik höre, wäre für ein Großraumbüro weder für andere noch für mich wirklich zumutbar.
Sonja Jüngling
00:19:51
Ja, schön. Mir ist an dieser Stelle noch wichtig, wir haben ja jetzt ganz viele Beispiele genannt, du hast gerade von der Neurodivergenzsteuer gesprochen. Es gibt natürlich auch Menschen, die einfach tollpatschig sind oder die einfach zu schnell fahren. Also nur weil du jetzt als hörende Person gedacht hast, ja das mache ich auch immer, ja das mache ich auch immer. Natürlich, wir stellen hier keine ADHS oder Autismusdiagnose aus, zumal das alles sowieso nur ein Spektrum ist. Mal by the way, du kannst es mehr oder weniger sein. Aber es gibt einfach Dinge, die relativ typisch für nicht neurotypische Menschen sind. Also ich merke, dass ich gestresst und nicht bei mir bin und dass mein ADHS jetzt wieder richtig durchkickt. Ich bin dann wirklich besonders tollpatschig. Ich renne - und es gibt Studien, die haben das nachgeprüft. Ich renne überdurchschnittlich häufig an Türrahmen oder Tischen oder so, weil ich diese Ausweichbewegung nicht so gut hinkriege. Und es gibt Studien, wie neurotypische und wie neurodivergente Personen diese Ausweichbewegung machen. Und ja, also ganz spannend. Jedenfalls wollte ich nur sagen, nur weil ihr bei vielen Dingen ja gesagt habt, heißt es nicht, dass ihr Neurodivergent seid. Diagnostik ist nochmal auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Ich weiß nicht, ob wir da heute Zeit für haben. Ich würde ganz gerne jetzt nochmal auf dich zu sprechen kommen, Dirk. Warum habe ich dich ausgewählt? Magst du mir noch ein bisschen mehr über dich erzählen oder uns?
Dirk
00:21:14
Genau. Wir hatten schon angeschnitten, dass ich eine Asperger-Autismus-Diagnose habe. Ich bin auch mit einem ehemaligen Kunden von mir, inzwischen würde ich eher Bekannter bis Freund sagen, mit dafür verantwortlich, dass wir in Köln eine regelmäßige neurodivergente Austauschrunde haben, wo wir uns einmal im Monat treffen. Und ansonsten zeichnet mich wahrscheinlich im direkten Vergleich zum Rest der Gesellschaft aus, dass ich auch vegan lebe und dass ich seit sieben bis acht Jahren ungefähr in einvernehmlichen Mehrfachbeziehungen lebe. Also Polyamor.
Sonja Jüngling
00:21:48
Darüber haben wir uns letztendlich kennengelernt. Ich möchte an dieser Stelle noch sagen und wenn dir das nicht gefällt, schneiden wir das einfach raus. Ich möchte an dieser Stelle noch sagen, dass du dich ja sehr viel für, ich sag jetzt mal, die Sichtbarkeit von diesen drei Themen einsetzt und dass du auch ehrenamtlich an vielen Stellen arbeitest, um diese Themen in die Toleranz und Sichtbarkeit zu bringen. Und du hast auch einen Podcast, der jetzt nicht mehr gepflegt wird, aber meiner Meinung nach sehr gute Inhalte zu finden sind. Möchtest du, dass wir die in die Shownotes packen?
Dirk
00:22:20
Können wir gerne machen, ja.
Sonja Jüngling
00:22:22
Ich bin reingesprungen, als du diese drei Themen benannt hast und hab dann gesagt, dass ich ergänzen möchte, dass du da für Sichtbarkeit sorgst. Magst du an der Stelle weitermachen?
Dirk
00:22:32
Ja. Ich find's eben auch wichtig, dass diese eher kontroversen Themen mehr in den gesellschaftlichen Dialog kommen, weil ich glaube, dass sehr viele Leute entweder merken, ich bin ein bisschen anders, ich hab andere Herausforderungen im Leben als die Menschen um mich herum oder alle meine Freundinnen haben ADHS oder sind autistisch. Das ist auch ein relativ starkes Merkmal dafür, dass man mit diesen Leuten nicht nur gut klarkommt, sondern vielleicht zu dieser Subgruppe der Gesellschaft dazugehört. Und es gibt eben auch sehr starke Schnittmengen. Also sowohl bei den Polyamoren-Menschen sind sehr viele Menschen, die autistisch sind oder ADHS haben. Und genauso wie wir es aktuell in der Medienlandschaft beobachten, dass psychiatrische Diagnosen wie Depression oder Burnout stärker thematisiert werden, glaube ich, dass so die nächste Welle der Aufmerksamkeit in Richtung Autismus-Spektrum und ADHS und eben Hochsensibilität gehen dürfte. Meistens kann man schon mal gucken, was auf Instagram oder TikTok oder so abgeht, worüber sich die Jugend quasi unterhält. Und wenn die sich darüber unterhalten, kommt das manchmal dann irgendwie bei den Eltern an, dass die auch denken, ah, okay, mein Kind hat ADHS, ist autistisch. Das ist ja interessant, aber der ist ja ganz normal, finde ich. Dann merkt man dann manchmal als Eltern, ach so, Moment, ich finde meine autistische Tochter oder mein Sohn mit ADHS normal. Das sagt deutlich mehr aus, als ich im ersten Moment beobachtet habe. Und ich fände es schön, wenn das eben stärker normalisiert werden kann. Und hatte da auch den schönen Begriff gehört, dass das keine Abweichung oder Störung ist, sondern eine Normvariante. Genauso wie es beispielsweise kurzähmlige und langähmlige Hemden gibt. Da kann man jetzt hier sagen, welches davon ist normal? Ja, es sind halt zwei Typen an Hemden. Und genauso kann es halt eben Leute geben, die eher neurotypisch verdrahtet sind und Leute, die eher neurodivergent verdrahtet sind. Und wenn wir als Gesellschaft dahin kommen, dass Leute sich bewusst werden, wie sie ticken, also welche Persönlichkeitseigenschaften oder Denkstrukturen sie einfacher verändern können und schwerer verändern können, dann können wir anfangen, eben auch die Gesellschaft oder zumindest unser soziales Umfeld so aufzubauen, dass wir diese Eigenarten wertschätzen, beobachten, ernst nehmen, dass wir die Stärken nutzen können und in den Schwächen uns gegenseitig ergänzen. Das wäre, glaube ich, so langfristig mein Plan.
Sonja Jüngling
00:24:42
Ja, voll schön. Ich muss dann wieder mit der biologischen Seite kommen. Also es gibt viele VerfechterInnen, die sagen, dass es das schon immer gab, neurotypische, neurodivergente Menschen. Und dass einfach dieses Skill, das unterschiedliche Skillset in den gesellschaftlichen Gruppen, die es so vor langer, langer, langer, langer Zeit gab, also im Höhlen-Szenario, dass diese unterschiedlichen Skillsets auch an unterschiedlichen Stellen genutzt wurden. Es gibt Theorien, die besagen, dass gar nicht die Geschlechterunterschiede entschieden haben, ob ich JägerIn oder SammlerIn geworden bin, sondern tatsächlich dieses Skillset. Weil zum Beispiel neurodivergente Menschen häufig risikofreudiger sind. Die haben ganz andere Fähigkeiten, Dinge aufzunehmen. Die haben aber ganz oft eben nicht so einen Langmut. Also sie können Dinge nicht sehr lange machen. Und es gibt eben Menschen, die sagen, neurodivergente Menschen sind die ehemaligen JägerInnen, weil die einfach schneller auf Adrenalin sind und so weiter. Mir gefällt die Idee, weil es einfach auch nur nochmal zeigt, dass es keine Krankheit ist, sondern einfach eine Varianz der Biologie. Und Vielfalt ist ja das, was uns so erfolgreich gemacht hat als lebender Organismus Welt. Also wenn es die Vielfalt nicht gegeben hätte, gäbe es keine Ausdifferenzierung, da gäbe es nicht so viele Arten. Und letztendlich hat die Vielfalt dafür gesorgt, dass wir überhaupt noch existieren, was ja so unfassbar unwahrscheinlich ist. Da kann ich ja gar nicht drüber reden. Also das kann ich ja gar nicht in Worte fassen, wie unwahrscheinlich das ist. Und einen Aspekt hast du gerade noch so quasi an der Seite mitgenommen, erwähnt. Ich möchte dem nochmal ein bisschen Aufmerksamkeit schenken, weil du hast gesagt, an der Aussage, dass ich mein autistisches Kind als normal einschätze, das sagt mir was. Und ich vermute, du willst darauf anspielen, dass alles nicht Neurotypische durchaus vererbt wird.
Dirk
00:26:28
Anteilich.
Sonja Jüngling
00:26:29
Also auch Hochsensibilität und so. Also die Wahrscheinlichkeit, dass wenn ich in einer Familie ein neurodivergentes Kind habe, dass dann in der Elterngeneration vermutlich auch eine Neurodivergenz vorliegt, ist relativ häufig.
Dirk
00:26:41
Ja, definitiv.
Sonja Jüngling
00:26:42
Genau. Ich möchte nochmal zu deiner Vorstellung zurück, weil du hast nämlich noch was gesagt. Du hast gesagt, ich bin aufgewachsen mit dem Schluss, ich bin anders, aber auch okay. Viele neurodivergenten Menschen, ich will das immer so, also in meinem Kopf sind so Formulierungen wie, haben nicht das Privileg oder haben nicht das Glück. Aber das klingt so, als wenn das so passiv wäre. Vielleicht hast du da total viel für getan, dass du daraus so gekommen bist. Aber meine Vermutung wäre, dass du vielleicht eine Familie oder ein Umfeld hast, die dir eben nicht signalisiert hat, dass anders falsch ist. Weil das kriegen ja viele mit. Anders ist falsch. Ist das bei dir besonders, dass du mit dieser wunderbaren Einsicht, ich bin anders, aber auch okay, dahin gekommen bist? Oder war das für dich ein harter Kampf? Wie bist du dahin gekommen?
Dirk
00:27:26
Ich glaube, es ist eine Mischung aus Glück, Privilegien und Willensstärke. Und ich kann nicht genau sagen, wie viel Prozent was davon ist. Ich würde nicht sagen, dass meine Eltern sehr offen dafür waren, wie andersartig ich bin. Sie haben schon tunlichst versucht, durch Erziehung mich möglichst normal zu machen und irgendwie erfolgreich zu machen und gute Noten zu schreiben. Und ich habe die dringende Vermutung, dass mein Vater autistisch geprägt ist. Also irgendwie sehr wenige Freunde, setzt sich vorrangig mit Maschinen auseinander, war längere Zeit bei der Bundeswehr, wo es klare Strukturen und Ordnungen und Hierarchien und Regeln und Anweisungen und Dienstvorschriften und keine Ahnung was gibt. Wenn er irgendwie ein technisches Produkt kauft, dann wird Stiftung Warentest gekauft, dann werden Tabellen gewälzt und arbeitet noch irgendwie als Hausverwalter nebengewertlich, wo man sich an Gesetzestexten und riesigen Excel-Tabellen orientiert. Also es gibt durchaus viele Anzeichen, die in diese Richtung zeigen. Aber ich musste irgendwann zum Beispiel für mich anerkennen, dass der Perfektionismus, den mein Vater mir nahegelegt hat, auch eine Anpassungsmethode war. Ihm fiel es relativ schwer, das ist meine Wahrnehmung, für sich einzustehen, wenn er etwas anders haben will als die anderen. Und der einfachste Deckmantel ist, Recht zu haben. Wenn du einfach mehr Daten hast, wenn du mehr Variablen durchdacht hast, wenn du Recht hast, bist du meistens sehr entspannt darin, dich durchzusetzen. Mit sehr hohen sozialen Kosten. Also Menschen, die rechthaberisch sind oder besserwisserisch sind, sind selten sozial akzeptiert. Und das war auch im Berufsleben für meinen Vater durchaus herausfordernd. Um da irgendwie zu merken, dass dieser Perfektionismus, der mir nahegelegt worden ist, gar nicht mein eigener ist. Dass ich es okay finde, wenn Dinge nicht perfekt sind. Sondern dass ich sage, naja, 80 Prozent ist auch okay. Meine 80 Prozent sind sowieso dann nochmal irgendwie überdurchschnittlich und ich glaube, da kommt so ein bisschen das Glück ins Spiel. Ich glaube schon, dass ich das Glück habe, sehr viele meiner Defizite erstens früh gemerkt zu haben und zweitens dann auch kognitiv leistungsstark genug war, um das auszubessern. Also Bücher zu lesen oder sowas. Zu merken, hey, jeder um mich herum ist in der Beziehung oder hat eine Freundin und ich habe das nicht. Irgendwie fehlt mir da was oder ich mache was falsch oder so. Kamen hilfreiche, in Anführungszeichen, hilfreiche Tipps wie, sei einfach du selbst. Ich so, was glaubst du, was ich die ganze Zeit gemacht habe? Das klappt augenscheinlich nicht. Dann war es okay, dann sei diese tolle Person, die extrovertiert ist. Bin ich aber nicht. Das macht mich unglücklich. Und dann irgendwie zu merken, dass ich weder jeder Person gefallen muss, noch niemandem gefalle, sondern halt einer bestimmten Subgruppe an Menschen gefalle, die mir ziemlich ähnlich sind. Und ich glaube, da hatte ich das Glück, mich relativ früh schon in verschiedenen Subgruppen aufzuhalten und da zu merken, es gibt andere Menschen, die ähnlich sind. Das war, glaube ich, mehr Glück als Chance und ich bin mit einer relativ starken Resilienz gesegnet. Also ich habe auch Phasen, wo ich denke, boah, scheiße, warum muss genau mir das passieren? Also ob das jetzt Allergien sind oder Asthma oder Heuschnupfen oder ich hatte chronisches Erschöpfungssyndrom zahlreiche OPs. Also ich hatte eine Hüftbehinderung als Kind. Mein Körper ist nicht so optimal, was die Genetik angeht, aber ich kriege das meiste kognitiv ganz gut abgepuffert.
Sonja Jüngling
00:30:29
Voll spannend. Also ich würde noch... Warte, ich muss unterschiedlich anfangen. Ich habe zwei Stränge, wo ich gerne hin möchte. Das eine ist, dass ich wirklich immer wieder begeistert bin und das ist, glaube ich, ein bisschen bei dir der Schlüssel zum Glück, dass du eine unglaubliche Klarheit und eine krasse analytische Fähigkeit hast. Also ich habe den Eindruck, dass du sehr schnell in der Akzeptanz sein kannst.
Dirk
00:30:54
Ja. In den meisten Fällen stimmt das durchaus.
Sonja Jüngling
00:30:56
Ja. Und das andere, was mich noch interessieren würde, wäre, wie sind denn deine Eltern mit dir konkret umgegangen? Also es macht ja einen Unterschied, ob ich sage, aha, das ist der Dirk, der ist ja da ein bisschen anders. Dann lass uns mal gucken, dass wir eine Lösung finden. Und es wäre gut, wenn du das ein bisschen runterschraubst oder ob die Eltern sagen, ach, der Dirk schon wieder. Ja, der immer muss ja eine Extrawurst haben. Zu welcher Kategorien, wenn du das einkategorieren möchtest, könntest, gehören deine Eltern?
Dirk
00:31:24
Ich glaube meiner Mutter auf jeden Fall eher zu wertschätzend, beschützend. Also dadurch, dass ich in meiner Kindheit auch viel mit Allergien und Neurodermitis zu tun hatte, brauchte ich tatsächlich eine Extrawurst. Also wenn ich auf Kindergeburtstage eingeladen worden bin und die haben Pizza gegessen, musste meine Mutter mir vorher extra was machen, was ich auch essen kann, weil ich ansonsten nicht hätte dazugehören können. Oder wenn alle angefangen haben, Limo zu trinken, konnte ich auch nicht trinken, weil ich Zucker nicht gut vertragen habe, musste ich auch irgendwie meine Apfelschorle selbst dabei haben. Also ich bin schon relativ früh dahin gekommen, dass ich andere Dinge brauche als mein Umfeld und dass das okay ist. Hatte da auch ein bisschen das Glück, dass mein Umfeld das durchaus akzeptiert hat. Aber die große Herausforderung ist halt, dass die Art und Weise, wie ich sonderbar bin, kontrollierbar war. Also ich konnte das selbst managen. Wenn es jetzt zum Beispiel um die Schule ging, ich habe immer mit irgendwas rumgefummelt und weil ich ansonsten gute Noten hatte und ansonsten sehr analytisch dabei war und die richtigen Antworten parat hatte, ist mir das gewährt worden. Also ich war quasi in sozial akzeptablen Bereichen überfunktional. Deswegen war es okay, dass ich es in anderen Bereichen nicht war. Also ich weiß noch, ich habe die Freigabe bekommen, im Unterricht dem Heft rumzukritzeln, weil sie wussten, ich brauche das und dafür kann ich halt Antworten geben, die der gesamten Klasse irgendwie helfen. Und dann habe ich auch selber noch Anpassungsmechanismen gehabt, wo ich mir dachte, mir fällt es schwer, mich zu melden und zu warten, weil ich ungeduldig bin. Also habe ich mich meistens in die erste Reihe gesetzt. Zum einen kann ich nicht die sozialen Cues der ganzen Restklasse sehen und mich eingeschüchtert fühlen. Und dann von ganz hinten was über den Raum zu sagen, dann ist das falsch, ist viel peinlicher, als in der ersten Reihe zu sitzen und was zu sagen, das ist falsch, weil ich sehe die ja alle nicht. Und ich konnte manchmal auch einfach die meiner Meinung nach richtige Lösung an meinen Sitznachbar, meine Sitznachbarin flüstern. Der Lehrer hat es gehört, meinte, ja, ja, Dirk, genau, sag das mal laut. Heißt, ich habe immer schon versucht, die sozialen Regeln um mich herum zu erkennen und zu meinem Vorteil zu nutzen. Und da ist es pures Glück, dass ich das sehen und verarbeiten kann. Das ist, glaube ich, nicht normal, wie du gesagt hast, meine analytischen Fähigkeiten sind nicht durchschnittlich. Und die erlauben mir halt in vielen Bereichen, das auszugleichen.
Sonja Jüngling
00:33:38
Ach man, das ist, ganz viel von dem, was du gesagt hast, da erkenne ich mich selber drin. Ich habe auch immer vorne gesessen und mir wurde mein, in Anführungsstrichen, Strebertum immer verziehen, weil ich sozial eben, ich bin jemand, der unglaublich hilfsbereit und unglaublich nett ist, einfach per Default. Wenn ich angepiekt bin, dann bin ich auch ganz schön anstrengend, aber ich helfe immer total gerne und dadurch hat man mir verziehen, dass ich eine Rechthaberin war, dass ich immer, also dass ich schon eine sehr klare Idee davon hatte, wie was zu gehen hat und auch immer der Überzeugung, oft der Überzeugung war, dass so wie ich es mache, vermutlich richtiger ist oder besser ist. Aber das liegt gar nicht daran, dass ich irgendwie, also ich habe inzwischen gelernt, dass ich an vielen Stellen tatsächlich oft eine bessere Idee davon habe, wie etwas gut zu lösen ist, weil eine Begleiterscheinung von Neurodivergenz ist ja auch, dass wir die ganze Zeit denken. Wir denken durchgehend. Wenn wir ein Problem analysieren, dann denken wir das auf 16 verschiedene Weise über Wochen und Monate und versuchen es noch besser und noch besser und noch besser. Das heißt, wenn ich mit meinem Mann über irgendwas hier im Haushalt rede, wenn ich dann sage, das ist die beste Lösung, dann habe ich zu 99 Prozent der Zeit einfach recht, weil ich es so viel durchdacht habe, weil ich mir Gedanken darüber mache, wie man am effizientesten Wäsche faltet oder am effizientesten dies oder das macht. Und alter, haben wir uns gestritten deswegen, weil ich es überhaupt nicht fassen konnte, dass er nicht versteht, dass das doch richtig ist, was ich sage. Er konnte es mir argumentativ auch ganz oft gar nicht widerlegen, aber er war einfach so angefressen davon, dass ich mit so einer Arroganz dahin gehe und sage, aber das ist doch logisch so. Und inzwischen weiß ich, ich habe ja schon gesagt, meine, oh, ich weiß gar nicht, nee, das habe ich noch nicht gesagt. Meine Mutter war relativ, also es hilft mir jetzt im jetzigen Leben, war relativ konsequent und klar in ihren Aussagen. Aber das heißt, für mich als ADHS-Person, die dann krass ins Funktionieren gezwungen wurde, bedeutet das, ich brauchte Masking-Mechanismen für alles. Ob das jetzt dran denken ist, das Zimmer aufzuräumen oder so, ich musste funktionieren. Ich musste einfach und dadurch habe ich total viele Mechanismen mir ausgedacht, wie ich es schaffe, mein Hirn dazu zu kriegen, so zu funktionieren, wie die anderen es von mir wollen. Und das habe ich eben auch dadurch, dass ich wirklich ein Problem von hunderttausend Seiten und die beste Lösung immer wieder nachdenken über so einen Scheiß, also wirklich über Wäsche oder wie man jetzt Gegenstände von unten nach oben möglichst effizient, wie man möglichst effizient aufräumt und solche Sachen. Darüber mache ich mir Gedanken und ich mache es gern so. Und das ist anders und ich habe lange gebraucht zu verstehen, dass nicht alle Menschen so funktionieren. Ganz lange.
Dirk
00:36:22
Ja, und auch teilweise, dass es in manchen Lebensbereichen diese optimale Lösung nur für deine Vorannahmen gibt. Mini Beispiel. In der Bürogemeinschaft hat einer der Kollegen seine Tasse, wenn er sie benutzt hat und nicht mehr brauchte, immer über die Spülmaschine auf die Ablage gestellt.
Sonja Jüngling
00:36:39
Ja.
Dirk
00:36:40
Und das verstehe ich nicht, weil es dauert eine Sekunde länger, um die für immer weggeräumt zu haben, als sie da oben hinzustellen und sie vielleicht sogar wem anders zuzumuten. Und ich hatte ihn gefragt, hey, das ist vielleicht eine komische Frage, aber ich kann nicht ganz nachvollziehen, du hast deine Tasse oben hingestellt. Wie ist da so dein Denkverlauf oder wie kamst du dazu, das so zu tun? Und er meinte, ich habe nicht nachgedacht. Und in meinem Kopf ist, ich muss nicht nachdenken, um das immer einzuräumen. Also das verbraucht keine mentalen Ressourcen. Und ich glaube, sechs, sieben Jahre später habe ich erst begreifen können, warum auch das eine nicht richtige, in Anführungszeichen, Lösung, sondern eine nachvollziehbare Lösung sein könnte. Wenn er zum Beispiel zu Hause in der WG wohnt, wo es keine Spülmaschine gibt, ist dieser Handgriff, ich brauche Tasse nicht, ich stelle sie auf die Ablage, der richtige Modus. Weil er will jetzt nicht spülen, er will, wenn genügend da ist, spülen. Aber ich habe voll lange gebraucht und ich glaube, er war sich auch nicht bewusst, dass das der Grund sein könnte, sondern er hat nicht nachgedacht. Eigentlich geht der Satz weiter, Komma, und deswegen das gemacht, was ich zu Hause auch immer mache, nämlich die Sachen auf die Spüle stellen, warten, bis genügend da ist und dann alles auf einmal spülen. Aber ich konnte das nicht nachvollziehen und genauso hatte ich das in vielen anderen Situationen, dass ich denke, ja, aber man muss doch einmal nachdenken, dass wenn man alle Löffel in das gleiche Fach im Besteckkorb tut, das viel einfacher auszuräumen ist. Oder wenn man die Teller immer da hinten hin tut oder wenn man die Tassen so einräumt, dann ist das für immer gelöst. Und ich glaube, zum einen, wenn man zusammen wohnt mit Leuten, die das anders machen, hilft es sich nicht darüber zu unterhalten, was richtig ist, sondern eher, um Verständnis zu bitten und zu sagen, hey, die Welt da draußen, ist vollkommen unberechenbar, ich bin fast schon ständig ausgelöst, kannst du mir zuliebe die Spülmaschine so einräumen, wie es für mich passt. Nicht, wie es richtig ist oder stell dich nicht so an, das hier ist, wie das funktionieren sollte, sondern um Verständnis zu bitten, zu sagen, ich weiß, das ist eine ganz kleine Geschichte, wenn du die Energie hast, kannst du das bitte so einräumen, weil dann habe ich so eine kleine Insel in dieser turbulenten Welt da draußen, wo Dinge berechenbar sind und ich glaube, dass das mindestens bei autistischen Menschen eigentlich der Grund ist, warum wir so vieles durchdenken, weil Gefühle, wenn wir sie haben, sehr stark, sehr intensiv, völlig überfordernd sind, ich habe das in meiner eigenen Selbstwahrnehmung, fühlt sich das so an, als würde eine Sicherung rausfliegen, als würde so der neuronale Stromkreis durchbrennen und ich brauche dann relativ lange, um mich wieder zu erholen, wenn ich starke Gefühle hatte und ich glaube, dieses ständige Durchdenken, Durchspielen von sozialen Situationen oder Zukunftsszenarien ist der Versuch, die Welt da draußen, die sehr unberechenbar ist, ein klein wenig berechenbarer zu machen.
Sonja Jüngling
00:39:17
Ja.
Dirk
00:39:17
Also auch Anpassungsmechanismus, weniger Masking, sondern mehr Coping, aber ich glaube, dass das daher rühren kann. Bei mir tut es das auf jeden Fall in vielen Bereichen.
Sonja Jüngling
00:39:25
Ach man, ja, ja. Und das, was du gesagt hast, also ich habe ja gerade eingangs erzählt, dass ich mich mit meinem Mann so fürchterlich deswegen gestritten habe, weil ich genau das gemacht habe, was du gesagt hast. Ich habe Recht haben wollen und dieses sagen, kannst du es mir zuliebe tun, das ist eine Sache, die ich einfach, ich glaube, gelernt habe, weil ich älter geworden bin und GfK gelernt habe und so weiter. Das mache ich jetzt natürlich nicht mehr. Ich poche schon lange nicht mehr auf Rechthaben. Ich sage auch zu meinen Paaren ganz oft, wenn ihr Recht haben wollt, habt ihr schon, habt ihr beide verloren. Also weil dann streitet ihr euch. Es geht um Unterstützung bitten. Da bin ich, bin ich total bei dir. Aber es ist natürlich ganz schwer, dahin zu kommen. Und das erklärt auch zum Beispiel, warum ich überhaupt keinen Schmerz damit habe, mich zu korrigieren. Also wenn mir jemand glaubhaft erklärt, also das, was du gerade gemacht hast mit der Spülmaschine, dass es einen Grund hat, dass diese Spülmaschine oben drauf steht und der Grund nicht ist, du bist mir egal, sondern dass es einen Grund gibt dafür, dann bin ich sofort der, also so willens und so glücklich darüber, meine Meinung zu ändern, weil ich eben neue Informationen habe, weil ich, genau, bei mir in meinem Kopf gibt es irgendwie so Logik schleifen und wenn dann jemand was macht, was da nicht reinpasst, früher bin ich dann ausgetickt, weil ich einfach so unausgeglichen war, weil es ja ständig passiert ist. Mittlerweile kann ich da total gut mit umgehen, aber diese, also, und ich glaube, das ist auch der Grund, warum Neurodivergente, ich habe schon wieder einen Satz nicht zu ändern gesprochen, und ich glaube, das ist auch der Grund, warum Neurodivergente Menschen sehr häufig sehr auf Gleichgewichts, Gleichgerechtigkeit gehen und auf Fairness, weil es eben diese inneren Logikverschaltungen gibt. ist doch logisch so. Und ja, das hast du wie immer fantastisch erklärt. Dankeschön.
Dirk
00:41:06
Ich finde das spannend, dass du es für Beziehungen angesprochen hattest, im Sinne von, ja, wenn du Recht haben willst, hast du eigentlich schon fast verloren. Ich hatte meinen Vater mal gefragt, ist es dir eigentlich wichtiger, Recht zu haben oder Ruhe zu haben? Ich möchte, Recht zu haben. Ich so, das war vollkommen klar. Aber weißt du was, manchmal ist es egal, ob du Recht hast, du kriegst nicht Recht. Das passiert sogar relativ häufig im juristischen System. Kann sein, dass du angefahren worden bist und weil die Gegenseite Zeugen hat, kriegst du nicht Recht. Also Recht haben und Recht kriegen sind verschiedene Sachen und in Beziehungen ist es meistens in ganz, ganz kleinen Sätzen versteckt und wirkt ein unheimliches Konfliktpotenzial. Der Unterschied zwischen dem Satz "habe ich nicht gesagt" und "das ist nicht, was ich sagen wollte", ist fundamental enorm wichtig. Denn wenn ich jetzt sage, "habe ich nicht gesagt", dann machen wir eine neue Diskussion auf und diese Diskussion ist, spreche ich undeutlich oder hörst du schlecht? Und das ist keine Diskussion, die ich in der Beziehung führen will. Viel hilfreicher ist, ah, doof, dass das so rübergekommen ist, das ist überhaupt nicht, was ich sagen wollte oder warum mir das wichtig ist, was ich eigentlich sagen wollte und dann das nochmal zu wiederholen. Und ich sage mal, diese Mikrokorrekturen an Sätzen, die wir ganz, ganz oft gehört haben, finde ich, ist mindestens in meinen Beziehungen mit dem Schlüssel dafür, dass ich mich mit meinen BeziehungspartnerInnen besser vertrage. Weiterer Satz ist, warum hast du das gemacht? Ein Satz, der meistens durch die Erziehung massiv verbraucht worden ist, weil eigentlich ist es, rechtfertige dein schlechtes Verhalten mir gegenüber, aber in Beziehungen, wenn ich das sage, warum hast du das gemacht, ist, hilf mir, dich zu verstehen. Also was war dein Denkprozess? Und da gibt es, mindestens in meinen Beziehungen, eine große Herausforderung. Ich kann sehr schnell argumentieren, rationalisieren oder auch einfach nur erklären, warum ich was wie gemacht habe. Und ich kann zum Beispiel Leuten sagen, hey, wenn du kurzfristig einen Termin, auf den ich mich gefreut habe, absagst, löst mich das sehr stark aus, weil ich ab dem Moment nicht nur keinen Plan habe, was ich tun soll, sondern ich verdaue noch emotional den Schmerz, nicht das zu tun, worauf ich mich gefreut habe. Ich zahle so eine Vorfreude-Kaution, die dann nicht zurückgezahlt wird. Ich kriege diese Vorfreude nicht zurück und kann die woanders investieren, sondern die ist weg, die sehe ich nie wieder. Und das Leuten zu erklären, hilft auch einfach, für Verständnis zu sorgen, also zu wissen, wo bin ich denn wirklich in meinen Lebensbereichen sonderbar und das Leuten zu sagen, auch im beruflichen Kontext, Leuten zu sagen, natürlich kannst du mich in ein Großraumbüro setzen, wenn du willst, dass ich aus dem gleichen Gehalt, was ich dich koste, du weniger Arbeitsleistung rauskriegst. Weil ich kann das, ich kann das nur nicht gut. Wenn du willst, dass ich gute Arbeit leiste, brauche ich hier und da eben bestimmte Anpassungen, wie die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten oder ein Einzelbüro oder so. Und dann kriegen die auch mehr aus ihrem Gehalt raus. Aber ich sage mal, dieses Tauschgeschäft aufzumachen und zu sagen, hey, es gibt ein paar Sachen an mir, die kriege ich nicht verändern, egal, wie viel Mühe ich mir gebe. Lass uns Mittel und Wege und Strukturen finden, wie wir daraus eine Stärke machen können, statt eine Schwäche. Sowohl im privaten Kontext als auch eben im beruflichen Kontext.
Sonja Jüngling
00:44:07
Schön. Ich mag es. Ich mag es, wie du Dinge sagst. Du hast gerade noch was gesagt. In einer Beziehung, also die Sätze, die du genannt hast, das ist voll wertvoll, das sich klar zu machen, dass es vermutlich aus der Kindheit herauskommt. Du hast gesagt, die wurden verbraucht, weil eigentlich sollte das gemeint werden und so. Das ist eine Sache, wo Menschen aus dem Recht haben, herauskommen sollten, in Anführungsstrichen, wenn sie möchten, dass es konfliktfreier ist, weil die Sprache eben unklar ist. Also das, was du sagen wolltest, ist vermutlich nicht das, was du gesagt hast und das, was die andere Person gehört hat, ist vermutlich nicht das, was gesprochen wurde. Sprache ist ja nur ein Vehikel und das geht oft schief. Ein zweiter Faktor ist aber tatsächlich auch Wirklichkeitskonstruktion, weil unsere Gehirne sind ja, also alle Gehirne, sind darauf programmiert, das als wahr zu erachten, was wir sowieso schon als wahr erachten. Also wenn wir etwas sehen und das passt in unser Weltbild, dann nehmen wir das eher wahr und ernst als das, was nicht in unser Weltbild passt. Und unter anderem, das sorgt dafür, dass wir die Welt ganz unterschiedlich wahrnehmen und einordnen. Alles, was passiert und wir selber erleben, interpretieren wir auf eine bestimmte Weise und am Ende kommt eine Wahrheit raus. Das heißt, ich kann zwei Menschen haben, die in derselben Umgebung sind, dasselbe erleben und es komplett unterschiedlich wahrnehmen und interpretieren. Das heißt, es kann tatsächlich so sein, dass zwei Menschen sich unterhalten und die eine Person sagt, das ist blau und die andere Person sagt, auf gar keinen Fall, das riecht nach Blume. Ja, und sie haben, oder das ist ein schlechtes Beispiel, das ist blau und die andere Person sagt, auf keinen Fall, das ist gelb und sie können beide Recht haben. Also, auch wenn es sich im ersten Moment widerspricht, können sie beide Recht haben und deswegen macht es überhaupt keinen Sinn, darüber zu reden, wer Recht hat oder nicht, weil, so wie ich die Welt wahrnehme, so ist es richtig für mich. Ja, aber das heißt nicht, dass es für dich passt, sondern da lohnt es sich, darauf zu gucken, um Unterstützung zu bitten. Ich brauche das so, das hilft mir und das macht Dinge mit mir, die dafür sorgen, dass ich etwas tue, was für dich scheiße ist. So.
Dirk
00:46:19
Ja, ja.
Sonja Jüngling
00:46:20
Ja.
Dirk
00:46:21
Ich kenne das in Beziehungen, wo ich manchmal auch sage, bitte hilf mir, dir gegenüber nicht nachtragen zu werden, weil ich merke ansonsten, wenn diese Mikroabweichungen von Mustern, die mir guttun, passieren, dann fange ich eben an, das persönlich zu nehmen. Ich versuche auf meiner Seite, das nicht zu tun und wenn die andere Seite versucht, diese Muster eben nicht zu durchbrechen, sondern sich an Abmachung zu halten, seien das Uhrzeiten oder Wochentage oder so, dann hilft mir das, offener zu bleiben. Was du eben angesprochen hattest, kenne ich als Bestätigungsfehler, dass wir versuchen, immer wieder unsere eigenen Glaubenssätze bestätigt zu sehen in der Welt und psychologisch finde ich das interessant, weil wir ja versuchen, ein Modell von der Wirklichkeit in unserem Kopf zu unterhalten, in der Hoffnung, dass wie wir glauben, wie etwas passiert und wie es tatsächlich passiert, zusammenpassen. Und ich glaube, dass in sowohl monogam als auch polyamoren Beziehungen es wichtig ist, dass man irgendwie Vertrauen zueinander hat, weil was wir im Hintergrund psychologisch machen ist, wir versuchen von all diesen sieben Milliarden, acht Milliarden Menschen, die es irgendwie gibt, wenige Menschen auszuwählen, denen wir unsere Verletzlichkeit anvertrauen, wo wir uns geborgen fühlen, wo wir uns sicher fühlen, uns aufmachen. Und die Hoffnung dahinter ist so ein bisschen, diese Person verhält sich so, wie ich sie kennengelernt habe über einen langen Zeitraum. Und deswegen tut es halt, wenn Versprechen gebrochen werden, anders weh, als wenn eine Person, die uns nicht wichtig ist, uns verletzt oder nicht zu ihrem Wort steht, weil wir unser mentales Haus auf diesem Fundament gebaut haben und wenn da hinten ein Baum umfällt, ist mir das viel weniger wichtig, als wenn einer der Stützpfeiler meiner gesamten Wirklichkeit wegbricht. Und deswegen finde ich das so wichtig, Leuten zu sagen, wie man tickt. Also erstmal, sich selbstbewusst zu werden, wie man tickt. Und das auch Leuten, insbesondere die man nah an sich heranlässt, denen das zu sagen. Und zu sagen, hey, ich bin ein komischer Mensch, aber hier sind einige Arten und Weisen, wie ich herausgefunden habe, dass ich ziemlich berechenbar komisch bin. Können wir uns darauf einigen, dass das irgendwie funktioniert? Und das kann so was sein wie, hey, kannst du mir spätestens alle drei Tage irgendwas schreiben oder irgendeine Form von Kommunikation haben? Das hilft mir einfach, dass mein Verstand sich nicht anfängt, Gedanken zu machen. Und wenn ich das so klar kommuniziere, dann kann ich auch sagen, naja, wenn die Person sich zwei Tage nicht meldet, ist das meine Baustelle, weil wir haben drei Tage abgemacht. Wenn die Person sich über vier Tage nicht meldet, nee, das ist deine Baustelle. Da ist ganz klar, da gibt es etwas, was ich dir gesagt habe, was ich brauchen würde und du gibst es nicht, da musst du dir mehr Mühe geben, um mit mir eine Beziehung zu führen, die mir gut tut. Und wenn die andere Seite das genauso macht und sagt, ich brauche das beispielsweise in Abschiedsküßchen zu kriegen. Und wenn das nur kurz ist, ist vollkommen egal, dann kann ich das eben einfach geben. Und ich muss noch nicht mal nachvollziehen oder verstehen können, warum die Person das braucht. Wenn die Person sagt, dass sie das braucht und mich kostet das nicht viel, mache ich das gerne.
Sonja Jüngling
00:49:16
Ja, da hast du aber einen wesentlichen Faktor gesagt. Mich kostet das nicht viel. Also du hast in deinem, also ich stimme voll überein mit allem, was du gesagt hast und könnte ich mal wieder feiern. Gleichzeitig hast du an einer Stelle einen wesentlichen Punkt vergessen, finde ich. Oder vielleicht ist er dir nicht so doll bewusst. Nämlich, dass wenn, also du hast das gerade schön beschrieben, du hast gesagt, ich gebe dir eine Bedienungsanleitung, so bin ich, berechenbar und behandle dich gut. So gleichzeitig ist das ja nur ein Vorschlag. Und wenn die andere Person sagt, ah Punkt 7, 11, 9 und 25 kann ich ohne Probleme einhalten. Die fallen mir ein bisschen schwerer, da brauche ich noch ein bisschen was von dir und die kann ich, das tut mir leid, das schaffe ich nicht. So, ja. Also im Idealfall sind diese Sachen, die du gerade gesagt hast, hast du am Ende im Grunde genommen gesagt, auch konsensuell vereinbart. Das mal, ne, also, genau, das ist dieser, dieser Schritt, Entschuldigung, dieser Schritt ist nur, ist nur so wichtig, weil viele, viele Menschen haben nicht gelernt, über Dinge, über Wünsche, über, da zu verhandeln und einen Common Ground zu finden. Also einen echten Common Ground, kein Kompromiss, kein, es tut mir weh, aber ich mache es für dich, sondern ein wirkliches, ah, das ist eine gute Lösung für uns beiden, weil ich weiß, du brauchst das, ich brauche das und da kommen wir uns entgegen und diese Verhandlungsskills, von denen, also die werden an vielen Stellen einfach nicht beigebracht und viele nutzen sie nicht und diese, da eine gemeinsame Lösung zu finden, ist mega wichtig für dich.
Dirk
00:50:47
Das ist ja auch, im Gegenteil zum Erfolgsrezept, so ein bisschen das, die Garantie zum Scheitern, wenn man Beziehungsmenschen so was sagt, wenn du mich nur genug lieben würdest, würdest du folgendes tun, das ist ja, ich sag mal, ein emotionaler Erpressungsversuch, irgendwie, wo man sagt, wenn ich dir wirklich wichtig wäre, dann würdest du das hinkriegen, aber ich sag ja auch nicht zu einer Person, die im Rollstuhl sitzt, ja ganz ehrlich, also wenn du mich lieben würdest, dann könnten wir auch mal eine Runde zusammen spazieren gehen und du würdest aufstehen aus dem Stuhl. Nein, das funktioniert so nicht und deswegen ist diese Selbsterkenntnis so wichtig, wenn ich beispielsweise als Autist, der sehr zuverlässig ist, in einer Beziehung stehe mit einer Person, die ADHS hat, dann fange ich nicht an mit etwas, wenn ich dir wichtig genug wäre, dann würdest du pünktlich sein. Sondern wenn ich eben mit der Person in Dialog gehe und sage, hey, mir ist es glaube ich ganz wichtig, dass wir so plus minus 15 Minuten rund um die Zeit, die wir vereinbart haben, uns treffen können, dann ist mir nicht wichtig, dass die Person sagt, ja kriege ich hin oder ich gebe mir Mühe, sondern ich glaube das schaffe ich oder ich glaube das schaffe ich nicht. Weil dann können wir ja erst in den offenen Dialog gehen, aber ich sag mal, der Vorschritt dafür ist ja sowohl Selbsterkenntnis als auch Selbstakzeptanz. Dass eine Person sagt, so wie ich mich kenne, kann ich dir das nicht in Aussicht stellen, weil ich das garantiert nicht hinkriegen werde. Und mindestens mit einer Beziehungspartnerin ist es so, dass wir das Zeitmanagement unserer Beziehung vollständig an mich abgetreten haben. Also wenn ich sie frage, wann treffen wir uns, sagt sie, das kannst du besser einschätzen, weil du weißt besser, wie lange ich morgens brauche als ich selbst. Weil ich eben keine Zeitblindheit habe. Das funktioniert gut. Was schwer funktioniert, ist bei Leuten, die aus irgendeinem Grund glauben, dass sie Erwartungen gerecht werden müssen, statt mit Erwartungen realistisch umzugehen. Ich finde es viel einfacher, dass eine Person sagt, habe ich nicht hinbekommen und ich sage, fand ich schlecht, wie kriegen wir das hin? Wenn die Person dann sagt, ich glaube das kriege ich nie hin, wir müssen da eine andere Lösung finden, dann bin ich wieder empowered, das irgendwie anders zu umgehen. Dann kann ich sagen, okay, mit diesem Beziehungsbedürfnis, Pünktlichkeit beispielsweise, bin ich bei dieser Person, mit ADHS, Fehlernplatz. Und zusätzlich auch nochmal zu reflektieren, worum geht es mir denn eigentlich, weil ich auch gemerkt habe, mir ist gar nicht Pünktlichkeit wichtig, mir ist Zuverlässigkeit wichtig. Ich bin vollkommen entspannt, wenn eine Person sich zeitlich verspätet, solange ich weiterhin weiß, mein Plan bleibt erhalten. in veränderter Form. Aber beispielsweise, wenn eine Person völlig vergisst, dass wir verabredet sind, dann sage ich der Person auch, wir können uns gerne noch einmal verabreden. Aber dadurch, dass ich mich relativ vielen Leuten verabrede, ist mir wichtig, dass das auch zustande kommt, weil ich habe mir meinerseits die Zeit freigehalten. Jetzt bin ich planlos, ich hätte auch andere Menschen treffen können. Ich habe dich furchtbar lieb und meine Ressourcen sind begrenzt. Also kann es halt eben sein, dass ich diese Ressourcen in Zukunft Leuten zukommen lasse, die zuverlässiger sein können. Und wenn das so etwas ist wie, sag dir spätestens einen Tag vorher Bescheid, ob du es schaffst, um mir die Möglichkeit zu geben, meine Zeit eben anders zu verplanen, da könnte man sagen, ja, das ist ja unfair. Ja, wie ich bin, kann manchmal unfair sein. Aber ich finde es halt wichtig, das ehrlich anzusprechen, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, damit umzugehen.
Sonja Jüngling
00:53:53
Und also, ich bin heute auch zu spät gekommen und ich wusste in dem Moment, wo ich das gemerkt habe, oh nein, weil wir haben ja schon mal über Pünktlichkeit geredet. Ich habe mich dann gemeldet und habe dann auch noch mit der Einschätzung, wann ich vermutlich komme, falsch gelegen. Das hat mir dann besonders leid. Dirk hat das aber total gut gecoped quasi, weil Dirk hat schon gesagt, ich habe mir das schon gedacht. Ich weiß ja, dass du ADHS bist. Und jetzt hätte ich total gekränkt sein können, weil eigentlich bin ich relativ gut geworden mit meiner Pünktlichkeit. Aber ich habe diese Woche eine total krasse Woche und weiß, dass ich dann meine ganzen Mechanismen, die ich habe, um meinen ADHS so unauffällig wie möglich zu machen, auch für mich, die greifen dann nicht, wenn ich überfordert bin, wenn ich eine krasse Woche habe. Und deswegen war ich mega dankbar dafür, dass Dirk das so wertfrei auch sagen konnte und ich es auch annehmen konnte und nicht getriggert war oder ausgelöst, hast du gesagt, auch ein schönes Wort, sondern dass ich einfach sagen konnte, ja, stimmt, war blöd, war verhersehbar, tut mir leid, dass es trotzdem passiert ist.
Dirk
00:54:56
Ja, aber dadurch kann ich auch Leuten die Möglichkeit geben, besser damit umzugehen. Also auch bei der einen Person, die ich jetzt seit viereinhalb Jahren ungefähr date, die ADHS hat und autistisch ist, ich habe mir bestimmte, nicht Verhaltensweisen, bestimmte Tätigkeiten in meinen Korb gesetzt, die ich jederzeit anfange und jederzeit halt abbrechen kann. Das kann ich dann im Wartemodus quasi machen, bis sie mit ihrem morgendlichen Alltag irgendwie durch ist. Und dadurch, dass sie auch unter Erschöpfung leidet, weiß ich, dass manchmal, obwohl wir verabredet sind, sie mir an dem Tag spätabends absagt, dass wir uns in zwei Stunden nicht sehen können werden. Da habe ich lange Zeit darunter gelitten, weil ich weiß, dass in meinen engen Beziehungen mir auch Zuverlässigkeit und das Erfüllen von Vorfreude ein wichtiges Bedürfnis ist. Aber als ich zu ihr meinte, ja, kannst du das nicht früher kommunizieren? Meinte sie, ne. Ich so, hm, Ja, also es gab gar keine Verhandlungsfähigkeit gegeben, weil ihr Körper schreibt vor, ob sie erschöpft ist oder nicht. Und wenn sie erschöpft ist, geht nichts und sie braucht den Schutzraum für sich selbst zu sein, um eben Selbstversorgung betreiben zu können. Aber dadurch, dass sie so klar Nein gesagt hat, also dieser Ausdruck von Klarheit, hat mir die Möglichkeit gegeben, andere Bewältigungsstrategien zu suchen. Und für diesen, sagen wir mal, Serientermin, wir sehen uns immer freitags, immer abends, habe ich im Kopf einfach immer zwei Pläne. Der eine Plan ist, wenn es ihr gut geht, andere Plan ist, wenn es ihr nicht gut geht. Und dann bin ich nie aufgeschmissen, sondern ich mache A oder B. Aber ich bin nie planlos. Und das hat mir halt eben die Fähigkeit gegeben, in diesem Leben, in dieser Andersartigkeit zwischen uns beiden, trotzdem eine Möglichkeit zu finden, wie wir das zum Funktionieren bringen können. Weil ich halt eben weiß, was mir unveränderlich wichtig ist, weil sie weiß, was ihr unveränderlich wichtig ist und wir dann eben so, ja, Schnittstellen oder Wege durch den Urwald gefunden haben, wo wir sagen können, damit funktioniert es. Das klappt gut.
Sonja Jüngling
00:56:42
Naja, und weil ihr auch beide, wie schön, aber weil ihr auch beide in die Akzeptanz geht, also dass es Dinge gibt, die unveränderlich sind. Also was, du hast gerade das Beispiel mit dem Rollstuhl genannt. Ja, es gibt einfach Dinge, da kann sich jeder wünschen, dass das anders ist, aber es wird nicht anders sein. und gleichzeitig die Räume aufzumachen, die eben möglich sind, zu verändern. Also ich werde niemals verändern können, vermutlich, dass ich super begeisterungsfähig bin und mich schnell ablenken lasse. Weil das gehört einfach zu meiner Hirnstruktur dazu. Selbst wenn ich Medikamente dagegen nehme, würde sich das wahrscheinlich nicht verändern. Aber ich kann versuchen, im Rahmen meiner Möglichkeiten, Rücksicht zu nehmen, indem ich zum Beispiel, also ich werde nie zu früh sein, vermutlich. Und ich glaube, wer mit mir verabredet ist, der muss mit ein, zwei Minuten Verspätung einfach rechnen. Aber ich kann sicherstellen, dass es weniger als fünf Minuten sind. Und ich kann sicherstellen, dass die anderen Menschen wissen, das mache ich ganz oft, dass die anderen Menschen wissen, es kann bis zu fünf Minuten Verspätung sein, weil ich mir noch einen Tee holen muss, weil ich alles auf den letzten Drücker mache. Und es hat ganz sicher nichts mit dir zu tun. Und sollte dich das auslösen, massiv auslösen, dass du sagst, Pünktlichkeit ist mir extrem wichtig, es gibt Menschen, bei denen, schaffe ich das. Es kostet mich über die Maßen Kraft, deswegen kann ich das nicht jedem anbieten, aber es gibt Menschen, bei denen schaffe ich das. Und da ist halt, also ADHS, Neurodivergenz, Hyperintelligenz, all diese ganzen Sachen sind nie eine Entschuldigung dafür, sich rücksichtslos zu verhalten, sondern eben da in den Bereich zu kommen, wo können wir uns beide entgegenkommen. Und dass diese Person gesagt hat, nein, kann ich nicht. Also eine Person mit Migräne, die kann dir nicht vorher sagen, wann der Migräneanfall kommt. Sie kann versuchen zu reduzieren, dass es die Wahrscheinlichkeit reduziert wird, aber wenn die Migräne da ist, dann ist sie da. Und ich würde von keinem meiner Herzensmenschen oder irgendeinem Menschen erwarten, dass er trotzdem einen Termin wahrnimmt, wenn es Migräne gibt. Ja, und ja, da die Rotbereiche, die Grünbereiche und die Gelbbereiche rauszufinden und zu gucken, wie können wir uns da begegnen, das ist, glaube ich, die große Herausforderung.
Dirk
00:58:42
Ja, und eben davor die Herausforderung, sich erstmal selbst so gut zu kennen, zu wissen, woran kann ich arbeiten, woran kann ich nicht arbeiten. Also, was sind so die Grundpfeiler meiner Hirnstruktur, die ich höchstwahrscheinlich nicht verändert kriege.
Sonja Jüngling
00:58:54
Ja.
Dirk
00:58:54
Mini-Beispiel: Ich habe ungefähr anderthalb Jahre, ich glaube zwei Jahre insgesamt mit einer Partnerin zusammengewohnt und wir sind ein halbes Jahr vor Corona zusammengezogen in eine Zwei-Zimmer-Wohnung, wo jeder ein eigenes Zimmer hatte. Aber wir sind von wir sehen uns freiwillig absichtlich dreimal die Woche zu wir sind 24-7 um einander und dürfen niemand anderen sehen. Wir dürfen teilweise das Haus nicht mal verlassen. War eine ziemliche Herausforderung, die unsere Beziehung in der Struktur, die wir damals hatten, auch so nicht überstanden hat, weil ich völlig ausgelaugt war. Mein, sagen wir mal, Dayjob, meine 32-Stunden-Woche, mit der ich mein Geld verdiene, ist verhandeln. Mit Leuten verhandeln, Vertrieb, Verkauf, Überzeugung, Rhetorik und so weiter und so fort. Auch hier wieder eine Möglichkeit, meine Stärken einzubringen und meine Schwächen quasi ausgleichen zu lassen durch das Team, aber das ist ein anderer Exkurs. Aber wenn ich das den ganzen Tag lang mache, kann ich nicht abends noch drüber verhandeln, ob wir Tomaten ins Essen machen. Ich habe dann nicht mehr die Energie dafür, weiter zu verhandeln und ich habe für mich selbst gemerkt, dass mindestens zum aktuellen Zeitpunkt, dass ich irgendwo auf dieser Welt einen verhandlungsfreien Raum brauche, wo ich rücksichtslos in Selbstversorge sein kann, wo ich nicht darüber reden muss, ob das okay ist, dass ich jetzt drei Stunden vor YouTube rumhänge und ab und zu einschlafe, weil ich merke, das ist alles, was mein Körper gerade hinkriegt, dann braucht er das und ich weiß aus meiner Erfahrung, morgen geht es wahrscheinlich wieder besser und wenn nicht, dann halt vielleicht übermorgen. aber das kann ich halt nicht in einem gemeinsamen Zusammenleben einer anderen Person zumuten in der Art und Weise, wie ich das brauche und ich spreche da immer gerne auch in unserer Austauschrunde von artgerechter Haltung. Also sich zu überlegen, was sind so die Eigenarten, die bei mir besonders stark sind, die unüblich sind im Verhältnis zum Durchschnitt der Gesellschaft und eine Lebensumgebung zu suchen, die das ermöglicht oder befähigt. Ich weiß zumindest aktuell ist für mich artgerechte Haltung Einzelhaltung. Ich brauche meine eigene Wohnung, ich bin sehr dankbar, dass ich so privilegiert bin, mir eine Zweizimmerwohnung zugelegt haben zu können, sodass ich halt eben auch in mein Homeoffice gehen kann und weiß, da hinten ist das Zimmer, wo die Arbeit ist, hier ist das Zimmer, wo mein Privatleben stattfindet. Heißt, ich kann das sehr gut im Kopf trennen und andere Menschen sagen dann, ja, aber brauchst du nicht ab und zu den Austausch mit den Kollegen und mal rauskommen? Ich so, ich brauche Austausch mit anderen Leuten und die wähle ich mir aus. Das sind meine Freundinnen, das sind Freunde, das sind Sportskolleginnen, die suche ich mir aktiv aus, das brauche ich nicht mit Kollegen. Wenn die das brauchen, ja, ist okay, wenn ihr sagt, wir müssen einmal die Woche, weiß ich nicht, zusammen Fußball spielen. Ja, wenn der Rest des Arbeitsumfeldes passt, dann kriege ich das hin. Mir gibt es zwar nichts, aber es kostet mich auch nicht viel, wenn es euch was gibt, klar, warum nicht? Das kriege ich schon hin. Aber ich wünsche mir zumindest die Ehrlichkeit, dass wir uns bewusst sind, dass ich gerade nicht, also nicht wegen mir hier bin. Mini Beispiel, auf der Arbeit meinten Leute, weil sie erfahren haben, dass die Weihnachtsfeier der Firma so läuft, dass wir in meinen Geburtstag hineinrutschen. Meinten sie, ja, du musst ja bleiben, damit wir singen können. Und der Autistin mir sagt, das ist falsch, ich muss nicht bleiben, ich kann jederzeit gehen, ich habe keinen Bock mehr, ich will nach Hause, ich bin müde. Und früher habe ich das auch so durchgezogen, gesagt so, ich habe keinen Bock. Ah, musst du schon, musst du morgen früh aufstehen? Nee, ich habe nur keinen Bock, hier zu sein. Also ich war quasi unverschämt ehrlich und das war sehr gut, um halt mich selbst kennenzulernen, zu mir selbst zu stehen, die Verbindung zu mir selbst aufzubauen. Aber inzwischen ist das eine kurze Denkleistung, dass ich mir denke, okay, ich kann entweder eine halbe Stunde vor zwölf gehen oder eine halbe Stunde nach zwölf und ich weiß, denen bedeutet das was, für mich zum Geburtstag gesungen haben zu dürfen. Und die Stunde lastet mich eigentlich nicht wirklich aus, dann mache ich halt eben diesen sozialen Tanz kurz mit. Die sind happy und denken, ach der Dirk, der ist ein Netter, mit dem kann man auch mal feiern und ich denke, ja, aber nicht so oft bitte, da habe ich keinen Bock drauf und dann passt das. Also man, man kann sich unterhalten, man kann sich vertragen.
Sonja Jüngling
01:02:38
Naja, und du würdest das ja nicht machen, wenn du die alle richtig doof finden würdest.
Dirk
01:02:42
Nein, nein, nein, also wenn der Preis für mich zu hoch wäre, würde ich das auch nicht machen und da bin ich auch Verfechter davon, ehrlich dazu zu sein. Also nicht so, wenn man nichts trinken möchte, dann zu sagen, ja, ich fahre heute noch, obwohl man das nicht tut. Ich glaube, das tut langfristig nicht gut, sich selbst darin zu bestärken, dass man nur angenommen wird, wenn man lügt. Das ist kein gutes Lebensmodell. Das kriegt man langfristig, glaube ich, nicht getragen. Ja, da steckt eine gewisse Privilegiertheit dahinter, dass ich das Glück habe, in der Art und Weise, wie ich bin, immer noch ein Mehrwert für die Gesellschaft zu sein. Also, unter dem kapitalistischen System ausreichend gewinnbringend einsetzbar zu sein. Es gibt viele Menschen, die haben dieses Privileg nicht. Da bin ich mir vollkommen bewusst. Und gleichzeitig glaube ich, dass es sehr, sehr viele Menschen gibt, die versuchen, sich passend zu machen für irgendeine Nische, sei das eine Beziehungsperson, eine Beziehung, in der man ist oder eine Arbeitsbeziehung, in der man ist, obwohl sie an einer anderen Stelle der Gesellschaft viel passender wären. Vielleicht ist man eine Person, die nicht 40 Stunden die Woche im gleichen Unternehmen arbeitet, sondern vielleicht nur 20 Stunden die Woche in dem einen Unternehmen und 15 Stunden in dem anderen und dann noch ein Ehrenamt hat. Vielleicht ist das die Art und Weise, die zu einem passt. Ich weiß bei mir, vier Tage Woche Unternehmen passt und den Rest der Zeit kann ich meinen Beziehungen nachgehen, meinen Selbstständigkeiten nachgehen. Das ist für mich artgerecht. Das kann für eine andere Person anders aussehen.
Sonja Jüngling
01:04:00
Ja, das hast du sehr schön gesagt und das ist einer der Gründe, warum ich dich in diesen Podcast eingeladen habe. Es geht hier ja um Beziehungen und dann denkt man so, hä, was hat denn das mit Neurodivergenz zu tun? Ich finde dieses, wie du mit dir und deinen Beziehungsmenschen umgehst, einfach total schön, weil dieses artgerecht, was du gerade sagst, also es gibt ja glaube ich sogar ein Buch dazu, einfach zu sehen, okay, jeder Mensch ist im Grunde genommen eine eigene Art und braucht einen ganz besonderen Umgang und je eher ich das akzeptiere, dass es bei mir so ist und bei meinem Gegenüber so ist, desto einfacher finden wir einen guten Weg miteinander. Je detaillierter ich die Bedienungsanleitung von mir und der anderen Person kenne und ich werde nicht müde, das zu sagen, dass es der Benefit eines jeden Konfliktes, dass ich die Bedienungsanleitung noch besser verstehe, also je mehr ich diese Bedienungsanleitungen kenne, desto besser kommen wir miteinander klar und desto besser können wir rücksichtsvoll und nicht übergriffig sein, bezogen auf die andere Person und bezogen auf mich selbst. Viele neurodivergente Menschen sind bezogen auf sich extrem übergriffig, sie halten viel aus, weil ihnen beigebracht wurde, dass das, was sie selber brauchen, nicht akzeptabel ist und dieses Aushalten ist manchmal eben auch übergriffig gegenüber sich selbst, wenn es nicht aus der Entscheidung heraus ist, das ist langfristig für alle Beteiligten die beste Lösung und alle Beteiligten bedeutet auch ich. Also sich selbst da ernst zu nehmen ist essentiell wichtig, auch für die gemeinsame Beziehung, weil nur dann kommt, also meiner Meinung nach, nur dann kommt man wirklich ernsthaft in Kontakt.
Dirk
01:05:39
Ich habe das in diesen Momenten auch, dass ich in internen Dialog trete, also dass ich mich frage, kann ich das gerade, ohne nachtragend zu werden, geben oder nicht? Und wenn da die Antwort ist, nee, das ist ein zu hoher Preis, dann sage ich den Leuten das auch. Also ich könnte das jetzt zwar für dich irgendwie ermöglichen, aber ich kann jetzt schon vorhersehen, dass ich nachtragend werde und anfange irgendein Beziehungskonto zu eröffnen und ganz ehrlich, das will ich dir und uns eigentlich nicht antun. Können wir einfach stattdessen was anderes machen oder wann anders oder in polyamoren Kontexten, du willst furchtbar gerne ins Museum gehen, kannst du nicht mit wem anders gehen? Das ist halt nicht meins oder du willst auf ein Rockkonzert? Cool, gönn dir. Hast du Lust mitzukommen? Auf gar keinen Fall, frag Sebastian. Und ich finde das so hilfreich in polyamoren Beziehungsgeflechten, dass man Möglichkeiten suchen kann, weil man sagt, diese Person passt irgendwie zu mir. Ich weiß noch nicht wie. So, vielleicht sehen wir uns einmal die Woche, vielleicht sehen wir uns sieben Tage die Woche. Aber es besteht die Möglichkeit, dass wir eine Zusammenkunftsvariante finden, die für uns beide passend ist, obwohl wir als Menschen unterschiedlich sind. Und ich glaube, das ist so der Vorteil für neurodivergente Menschen in alternativen Liebensformen, wie in Polyamorie oder offene Beziehungen oder Beziehungsanarchie, dass man nicht alle Beziehungsbedürfnisse durch eine Person befriedigt kriegen muss. Als Beispiel, diese Person, die ich seit viereinhalb Jahren date, wir sehen uns einmal die Woche, seit ungefähr drei Jahren. Und zwar immer am gleichen Tag. Und wir machen fast immer genau das Gleiche. Und das ist grandios. Das ist so angenehm für mich, dass ich genau weiß, wie diese Treffen ablaufen in der Regel. So 90 Prozent der Wahrscheinlichkeit läuft das genau gleich ab. Das ist so schön für mich. Und gleichzeitig weiß ich, dass ich diese Beziehungsperson niemals mit zu einer Firmenfeier bei meinem Arbeitgeber, zu einer Familienfeier bei meinen Eltern, zu einer Geburtstagsfeier mit einladen könnte, weil sie nicht zuverlässig sein kann. Würde ich jetzt monogan leben, wäre die Frage nicht, wie oft sehe ich sie, sondern hat diese Beziehung die Fähigkeit, die Möglichkeit, mein Lebensabschnittspartnerförmiges Loch an meiner Seite zu decken oder nicht. Das ist so eine Ja-Nein-Frage. Und in den anderen Beziehungsformen, also einvernehmlichen Mehrfachbeziehungen, habe ich die Möglichkeit, ein Modell zu finden, was passt. Ich weiß, diese Person passt. Ich weiß noch nicht, welches Beziehungsmodell passt. Und ich glaube, in der Monogamie ist es mehr so, ich habe dieses Beziehungsmodell, das ist fix, welche Person passt da rein? Und dann reibt man sich ziemlich auf und macht so Sätze wie, ja, aber du bist doch meine Freundin, dann ist doch normal das. und so was hilft nicht. Also allerhöchstens noch, ich habe bei mir gemerkt, dass ich in Beziehungen das Bedürfnis habe, das Folgende zu tun, wäre das für dich denkbar oder nicht? Das ist so das Höchste der Gefühle, was ich so im monogamen Kontext noch gewaltfrei finden würde. Aber das Angenehme ist halt eben, dass man das viel entspannter in polyamoren Beziehungen fragen kann, weil die Antwort Nein nicht dazu führt, dass dieses Bedürfnis nie befriedigt wird. Sondern dann kann man sagen, wäre es für dich okay, wenn ich das mit einer anderen Person mache? Und man kann trotzdem glücklich aus diesen Verhandlungen rausgehen, weil man halt nicht so zwanghaft alternativlos, in Anführungszeichen, auf der Suche nach diesen Bedürfnissen ist.
Sonja Jüngling
01:08:49
Kannst du das mit dem Beziehungs- irgendwie lebensabschnittsförmigen Loch? Das hast du in deinem Podcast auch schon mal gesagt. Kannst du es nochmal sagen? Das war so schön.
Dirk
01:08:57
Ja, wir haben meistens ein sehr starkes Idealbild davon, was eine Beziehungsperson für uns so tun können, sein sollte und machen so einen Kriterienkatalog auf. Sag mal so ein bisschen wie so ein Suchprofil auf einer Dating-Plattform oder so und sagen, ja, die Körpergröße, das Gewicht, die Sportlichkeit, die Sprachkenntnisse, die Religion, die Ernährungsweise, die politische Wählerschaft und so weiter und so fort. Und nur wenn die Person all das auf einmal erfüllt, hat sie im monogamen Kontext in Anführungszeichen die Chance, lange an unserer Seite zu bleiben, weil wir ja viele Bedürfnisse, beispielsweise Sexualität, Zärtlichkeit, Intimität, vorrangig mit einer Person teilen, im monogamen Kontext. Und da ist dann meistens die Idee, ich weiß genau, wie mein Partner, meine Partnerin aussehen soll. Bist das du? Kommt so ein Ja oder Nein raus? Oder 80 Prozent? Fair genug, bis wir was Besseres finden, machen wir das mal? Also im ganz toxischen Stil, in Anführungszeichen. Und im polyamonen Kontext ist das nicht so eine Ja-Nein-Frage, sondern da ist, ach, du magst, weiß ich nicht, beispielsweise, einmal die Woche sexuell werden. Ich mag das jeden Tag. Cool, dann treffen wir uns einmal die Woche. Und es spricht nichts dagegen, dass ich an den sechs anderen Tagen wen anders treffe. Solange man das eben offen und bewusst verhandelt, gibt es ungeahnte Möglichkeiten, sich zusammenzufinden. Muss dazu aber auch sagen, das ist mit einer enormen Komplexitätszunahme verbunden. Ich muss viel mehr verhandeln, weil ich halt nicht nur mit einer Person verhandle, sondern mit ganz vielen, aber streng genommen so unter uns. Das macht man im monogamen Kontext auch. Weil ich glaube, die treffen auch Freundinnen, so platonisch, die Zeit haben wollen. Die haben vielleicht einen Sport oder einen Verein oder ein Ehrenamt oder eine Familie, die Zeit beansprucht. Es hat nur die Frage, über welche Bedürfnisse und welche Verbindungsarten man spricht. Aber verhandeln muss man eigentlich auch im beruflichen Kontext. Zwei Leute fragen für die gleiche Meetingzeit an. Das ist das Gleiche, was polyamore Menschen im privaten Kontext machen. Beide wollen mich Dienstagabend sehen. Ja, okay. Kann man sich zu dritt treffen? Kann man sich irgendwie nacheinander treffen? Gibt es einen anderen Tag? Kann jemand schieben? Also die Skills. übt eigentlich jeder Mensch. Wir haben es halt nur auf mehr Bedürfnisse ausgeweitet.
Sonja Jüngling
01:11:02
Ja, nee, also danke. Ich finde, ich finde, diesen Unterschied kann man wirklich nicht häufig genug rausnehmen. Aber du hast da so schön einen Begriff für. Dieses beziehungsförmige Loch. Kannst du das nochmal sagen?
Dirk
01:11:13
Lebensabschnitts, partnerförmige Loch an meiner Seite. Wo ich sage, ich bin eine Hälfte eines Paares. Und hier ist so eine Schablone quasi. Die ist ausgeschnitten und da muss man gucken, ob das so reinpasst oder nicht reinpasst. Ich habe das im Kopf so ein bisschen wie dieses Kinderspielzeug, wo dann so ein Dreieck und so ein Viereck und so ein Kreis ist. Und wenn du den Kreis irgendwie in das Viereck reindrückst, dann klappt das nicht und dann musst du halt eine andere Person suchen. Und ich glaube schon, dass einige monogame Menschen so ständig auf der Suche nach der Person sind. The One TM. So die eine, der eine für immer. Selbst monogame Menschen machen das ja nicht so. Die verändern sich ja auch über die Zeit und dann passt die eine Person, die vor fünf Jahren gepasst hat, halt nicht mehr. Dann kann man sagen, danke, dass du in diesem Lebensabschnitt an meiner Seite warst. Die folgenden Schritte führen in verschiedene Richtungen. Das habe ich eben auch im Polyamoren-Kontext mit einer damals Partnerin festgestellt, dass unsere Wege uns woanders hinführen werden. Und nach ganz viel Trauer, dass das nicht mehr so ist, wie es mal gepasst hat und dass sich Gefühle verändert haben, dass sich Fokus verschoben hat und diese Enttäuschung, dieser Trauer, dass es nicht so ist, wie ich es gerne hätte. Raum zu geben und dann zu sagen, okay, aber was ist denn hier, was ich noch zu schätzen weiß? Und vielleicht ist nicht das Problem, ist das noch eine Partnerschaft, kann man das noch so nennen, sondern ich weiß, irgendwas gibt mir hier was, aber vielleicht ist das keine Partnerschaft. Vielleicht ist das Wort einfach falsch. Vielleicht sind die Assoziationen, die ich mit dem Wort Partnerin verbinde, mehr als das, was hier in dieser Beziehung natürlicherweise noch fließt. Und nach dem Ausziehen aus der gemeinsamen Wohnung, dann erstmal viel Freiheit, Autonomie, Selbstversorgung, mir ging es wieder zunehmend besser, ich konnte wieder für mich sorgen, musste weniger maskieren und copen, konnte ich erstmal einen Schritt zurücktreten und beobachten, was ist denn das, was mich an ihr, an unserer Verbindung bereichert, was mich sie wertschätzen lässt, was zu Verbindungen und auch liebevollen Gefühlen einfach führt und dann zu merken, gibt es keine Möglichkeit, das wertzuschätzen und sich nicht an dem aufzuhängen, was fehlt. Und in meinem Kopf war es wirklich nur, dass das Wort Partnerin nicht passte, weil ich eine klare Vorstellung davon hatte, was für Bedürfnisse ich mit meiner Partnerin ausleben möchte. Und da waren halt viele, die unbefriedigt waren, dachte ich, ja okay, aber was ist sie denn sonst, sie ist eine Freundin, nee, das passt nicht, das wird ihrer Wichtigkeit nicht gerecht, die sie in meinem Leben hat. Und war so, okay, was gibt es denn noch für andere Begriffe? Es gibt so Freundin-Plus-Begriff, so irgendwie platonisch und Sex, aber wir haben keinen Sex. Also es ist eine Beziehung minus. Nee, ist auch ein scheiß Begriff irgendwie, das will ich ihr nicht zumuten. Und irgendwann kam bei mir im Kopf der Begriff Gefährtin, dass ich sagen kann, dieser Mensch begleitet mich bei wichtigen Lebensherausforderungen und ist für mich da, wenn ich sie brauche, aber es ist eine losere Verbindung. Und was ich im Kopf gemerkt habe, ist, wir sind nicht mehr ein Paar, was zusammen eine Lebensgeschichte schreibt mit gemeinsamen Verantwortlichkeiten, gemeinsamer Entscheidungsfindung, gemeinsamer Zukunftsplanung, sondern ich bin wieder ein Solo-Protagonist in meinem Leben. Aber es gibt diese Frau, die regelmäßig an meiner Seite ist, wenn ich sie brauche. Und da eben zu merken, dass ich durch die Veränderung des Begriffs die Erwartungen verändern konnte und die Erwartungen so angepasst habe, dass sie zu realistischer Erfüllung führen, hat mich autistisch sehr beruhigt, weil ich dann die Welt wieder verstanden habe. Weil es dann nicht war, wenn sie meine Partnerin ist und das nicht macht, warum, was kann das sein? Und dann eben zu merken, okay, aber vielleicht ist der Begriff einfach falsch. Der Erwartungskatalog ist überzogen und unrealistisch. Durch das Anpassen der Erwartungen und des Begriffes konnte ich dann wieder Wertschätzung entwickeln für das, was da ist und das eben genießen.
Sonja Jüngling
01:14:52
Diese Schablone, dieses Bild nehme ich auf jeden Fall mit und ich glaube, es täte allen gut, monogam oder nicht, zu gucken, wie ist meine Schablone eigentlich und zu akzeptieren, dass es sie gibt. Also gar nicht zu sagen, schmeiß die weg. Nee, wenn ich monogam leben will und eine ganz genaue Vorstellung davon habe, wie das auszusehen hat, dann ist das toll. Allerdings braucht es eine gewisse Flexibilität, damit eben mehr Menschen da reinpassen. Sonst bin ich sehr einsam oder bin sehr sauer auf die Menschen, die da gar nichts für können, dass die Schablone, die ich ausdenke, nicht passt. So, ich könnte jetzt noch Stunden mit dir reden, aber unsere Zeit läuft ab und es gibt einen Aspekt, den ich unbedingt gerne noch ansprechen möchte. Du sagst einfach, wenn du nicht mehr weitersprechen möchtest. Prima. Ich habe gerade einen Daumen hoch gekriegt, weil der Moment, wo ich beschlossen habe, dass ich dich frage, ob du in meinen Podcast kommst, war der, als du gesagt hast, dass sich häufig, oh verdammt, ich habe noch zwei Fragen, aber die letzte geht schnell, dass sich häufig zwei Menschen zusammenfinden, wo die eine, also die beide Neurodivergent sind, aber die eine Person eher im ADHS-Spektrum unterwegs ist und die andere eher im Autismus-Spektrum. Can you elaborate? Keine Ahnung. Ich habe da gar keine Frage, aber ich fand das einfach höchst spannend, alles, was du dazu gesagt hast.
Dirk
01:16:03
Ich habe das vor allem in meinem eigenen Dating-Verhalten beobachtet, dass ich sehr lebensfrohe, aktive, begeisterungsfähige, leidenschaftliche Menschen sehr anziehend finde, weil die eine Form von Lebensfreude verkörpern oder ausdrücken, die ich so nicht habe. Ich bin eigentlich ein eher ruhiger Typ, ein eher berechenbarer Typ, bin ein eher strukturierter Mensch, der es mag, dass Dinge relativ vergleichbar ablaufen und ich merke, wenn ich so zu Spontanität aufgefordert werde, ist mein erster Instinkt, muss ja nicht sein. Ich hätte es angenehmer, wenn du mir das vorher gesagt hättest, dass du schon seit einer Woche vorhast, wenn wir uns sehen, das Folgende zu tun, dann hätte ich mich darauf vorbereiten können. Aber ich habe halt schon in meiner eigenen Dating-Historie bemerkt, dass es häufig eben Menschen mit ADHS sind, die sich in meinem Auswahlverfahren wiederfinden oder die ich halt anziehend finde. Und was ich da eben auch spannend fand, ist zusätzlich neben dem, fühle ich mich angezogen oder nicht, auch zu hinterfragen, passen wir in irgendeiner Beziehungsform zueinander oder nicht. Also Attraktion ist so eine Dimension und die andere Dimension ist so Beziehungsfähigkeit miteinander. Also kriegen wir zusätzlich zu den Gefühlen, die schon viel beitragen, auch genügend Kommunikation, Reflexion hin. Ich glaube, Beziehung ist nicht nur Gefühle haben, sondern auch Beziehungsarbeit, Beziehungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Gefühle alleine reichen da erfahrungsgemäß nicht aus. Und ich habe schon die Erfahrung, dass beispielsweise die Strukturiertheit, die Organisiertheit, die ich an den Tag lege oder auch die Ruhe, die ich ausstrahle, für solche Menschen unheimlich bereichernd ist, dass sie einen Ort in Form einer Person an ihrer Seite haben, wo sie wissen, hier wird für mich gesorgt, hier kann ich mich fallen lassen, hier werde ich gehalten. Das heißt, wir haben eine Ergänzung, so ein bisschen wie Yin und Yang oder verschiedene andere Bilder, die man sich da irgendwie ausdenken kann. Äh, was war das? Pfanne und Deckel wird ja häufig auch verwendet. Die dann zusammen eine Einheit geben oder wie wir vor kurzem in der Austauschgruppe hatten, ich bin ein leckerer Kuchen, du bist ein leckerer Kuchen, zusammen können wir eine schöne Torte werden. Ne Torten sind ja meistens mehrere Kuchen übereinander und dann kommt noch so ein Guss da drüber. Ja, und da entspricht es auf jeden Fall meiner Beobachtung, dass Menschen mit ADHS und Menschen mit Autismus sich oft zusammentun. Da ist dann immer die Frage, kann man die Unterschiede ausgleichen? Und wenn eine Person mit ADHS sagt, nee, beim nächsten Mal komme ich pünktlich und die sagt das dreimal nacheinander und ich war dreimal pünktlich und die andere Person nicht, dann bin ich angepisst. Weil ich denke, hey, sei doch wenigstens ehrlich zu dir selbst und sag, realistischerweise, das kriege ich nicht hin, bitte nimm dir ein Buch mit. Oder schick mir eine Nachricht, wenn ich das Haus verlassen soll oder wenn ich mich anziehen soll oder so. Das kriege ich alles hin. Aber wenn mir die Möglichkeit genommen wird, dieses Verhalten zu beeinflussen, was mich auslöst, dann passt das meistens nicht. Und da irgendwie so ein realistisches Erwartungsmanagement zu betreiben, was kriegen wir angepasst, was kriegen wir nicht angepasst, wie können wir die Unterschiede zelebrieren, statt an ihn zu zerbrechen, das ist dann eher die Herausforderung. Und das kann auch so was sein wie, ich date eine ADHS-Person, also jetzt beispielhaft, das ist nicht so, die jede Woche wen neues kennenlernt. Ich dann irgendwie merke, okay, wir müssen irgendwie langfristiger planen, weil dein Terminkalender ist immer spontan ausgebucht und ich merke, ich komme da so ein bisschen zu kurz. Ich brauche das für mich, dass wir uns einmal die Woche sehen. Kriegen wir das hin? Und dann will ich nicht hören, was ich hören will, ich will hören, was stimmt. Weil dann kann ich wieder anfangen, meine Welt darauf aufzubauen und dir zu vertrauen und ein gemeinsames Fundament zu haben. Und wenn die Person sagt, nee, kriege ich nicht hin, dann kann ich sagen, das ist vollkommen okay, dann müssen wir uns nur bewusst darüber werden, dass das wahrscheinlich dazu führt, dass ich mich weniger emotional öffne und fallen lasse, weil ich nicht die Erfahrung machen will, dass ich mich fallen lasse und du bist woanders. Und das kann sein, dass du bei einem Hobby bist oder bei einer Person bist oder mit etwas anderem beschäftigt bist, aber dann werde ich mich wahrscheinlich eher anderen Leuten gegenüber öffnen, von denen ich die Wahrnehmung erhalten habe, dass sie in dem Moment für mich da sein können. Und dann kann ich trotzdem das zelebrieren und kann sagen, okay, das ist jetzt eine, weiß ich nicht, platonisch-erotische Verbindung, aber keine emotionale, intime. Dann mache ich die emotionale, intime Verbindung eben mit anderen Menschen, die vielleicht sogar asexuell sind, wo gar keine Sexualität im Spiel ist, aber die trotzdem, weiß ich nicht, mich halten, wenn ich weine oder Verständnis habe für meine Wunden aus der Vergangenheit. Und das finde ich eben das Schöne an der Polyamorie oder generell an Mehrfachbeziehungen, dass man sich wie an so einem Buffet verschiedene Dinge zusammensuchen kann und nicht jeden Tag sein Lieblingsgericht essen muss.
Sonja Jüngling
01:20:25
Abschlussfrage. Das passt auch ziemlich gut. Als hättest du es gewusst. Glaubst du, dass einer der Gründe, warum in der Polyamoren oder beziehungsanarchistischen Community so viele Menschen neurodivergent sind, genau das ist, dass es wie so ein Menü ist und ich unterschiedliche Bedürfnisse mit unterschiedlichen Menschen ausleben kann und mir das suchen kann, was passt?
Dirk
01:20:47
Ich glaube, dass das einen großen Aspekt bereitstellt für diese Überlegung oder dieses sich wiederfinden in dieser Ecke der Gesellschaft. Ich glaube, was noch dazu kommt, ist Menschen, die in einem Lebensbereich von der Norm abweichen, tun das meistens auch in anderen Lebensbereichen. Also so gewisse Schnittmengen, wenn man schon merkt, ich komme nicht mit der normalen, weiß ich nicht, 40 Stunden Arbeits, Woche heiraten, Haushund, Kinder, Geschichte klar, dann ist es wahrscheinlich, dass man auch in anderen Lebensbereichen abweicht. Ich glaube, dass die Motivlagen dafür, sich in dieser Szene wiederzufinden, auch nochmal verschieden sein kann, zum Beispiel bei Menschen mit ADHS oder mit Autismus. Bei ADHS so ein bisschen, ich finde sehr viele Menschen sehr schnell sehr interessant und entweder bewusst, ich will dem nachgehen oder vielleicht eher impulsgesteuert, ich kann nicht verhindern, dem nachzugehen. Ich kriege das nicht kontrolliert, ich finde Menschen interessant und dann lande ich mit dem im Bett. Was für mich als Autist immer so unnachvollziehbar ist, weil da sind so viele Schritte, die vollzogen werden müssen, um nackt miteinander irgendwo zu liegen oder so, das ist ja sehr zeitaufwendig und auch Logistik erforderlich, aber wie dem auch sei. Der Weg, der mich als damals undiagnostizierten Autist in diese Szene bewegt hat, ist, ich mag das gerne darüber reden, was Leute mit Begriffen meinen. Zum Beispiel, was meinen Leute, wenn sie sagen Beziehung? Und da es mir regelmäßig begegnet, ja ist doch klar, was Beziehung bedeutet und was das heißt. Und ich glaube, wir haben in unserem Wandschrank, wo wir Definitionen von Begriffen haben in unserem Gehirn, haben wir alle eine Box, auf der Beziehung steht. Aber wenn wir diese Box mal rausnehmen würden und auf dem Tisch ausbreiten, ist da garantiert was vollkommen anderes bei jeder einzelnen Person drin. Heißt Beziehung zum Beispiel, dass man Händchen hält in der Öffentlichkeit? Manche sagen, nee, das ist ja irgendwie Privatsphäre, das mache ich nur zu Hause. Andere sagen, das ist mir total wichtig, dass wir voreinander, vor der Gesellschaft Stellung zueinander beziehen. Heißt das, dass man sich den Eltern gegenseitig vorstellt? Heißt das, dass man zusammenzieht? Heißt das, dass man Zärtlichkeit, Intimität, Sexualität nur zu zweiteilt oder mit mehreren Leuten? Heißt das, wenn man auf eine kinky Veranstaltung geht, dass man definitiv zusammengeht oder auf gar keinen Fall zusammengeht, weil das ja auch auslösend sein kann? Das ist alles vollkommen unterschiedlich und für mich als Autist war einfach nur anziehend, dass man, dass ich einen Raum gefunden habe, in dem es normal ist, das nicht als selbstverständlich anzuerkennen, was man mit diesen Begriffen meint, sondern drüber zu reden. Das mal wirklich auszuverhandeln. Zum Beispiel, okay, wir sind in einer Beziehung, darf ich mit anderen kuscheln? Und du wirst genauso viele Leute finden, die sagen, hä, ja, klar, natürlich. Und Leute finden, die sagen, hä, klar, natürlich nicht. Und beide denken, das ist total selbstverständlich. Ich hatte das auf einem Polyamoren-Treffen mal beschrieben bekommen, als die unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten. Und diese aufzudecken, ist in der Polyamoren-Bubble meiner Wahrnehmung nach deutlich häufiger vertreten, als in der monogamen-Bubble. Will man Kinder haben oder nicht? Will man zusammenwohnen oder nicht? Trifft man andere oder nicht? Darüber muss man reden, in der Polyamoren-Bubble. Darüber muss man nicht zwingend reden, in der monogamen Welt. Man sollte trotzdem. Ist sehr hilfreich. Kann ich nur empfehlen. Und vieles von den Kommunikationsstrategien oder Denkweisen, die in der Polyamoren-Bubble sind, helfen auch monogamen Leuten. Aber ich glaube, die Faktoren, wie du schon gesagt hast, man ist irgendwie anders und findet andere, die auch anders sind. Und dann landet man in dieser Ecke. Aber eben auch gleichzeitig findet man sehr, sehr viele Menschen interessant oder mag man es, über Definitionen und Begriffe und Routinen zu sprechen. Das kann sich ja auch ergänzen. So ist ja nicht.
Sonja Jüngling
01:24:16
Schön. Ein schönes Schlusswort. Genau. Wenn du, liebe hörende Person, diesen Podcast cool fandest, dann kannst du vielleicht mal auch in Dirks Podcast reingucken. reinhören natürlich. Es gibt den Stammtisch oder du hast gesagt Austauschtreffen oder so ähnlich in Köln.
Dirk
01:24:35
Genau. Neurodivergente Austauschrunde in Köln. Inzwischen immer am zweiten Montag des Monats. Ich kann aber auch noch einen Flyer bereitstellen für Sonja, dass du den hochladen kannst oder irgendwie verlinken kannst. Das kriegen wir sicherlich hin.
Sonja Jüngling
01:24:49
Sehr schön. Vielen Dank dafür. Und wenn du ganz weit weg von Köln wohnst, liebe hörende Person, dann darfst du natürlich auch drüber nachdenken, selbst ein Treffen zu machen. Das reicht ja, wenn es eine Person gibt, mit der du dich regelmäßig genau über Neurodivergenz austauschst. Und wenn du da irgendwie Hilfe brauchst, wie du das machst oder so, dann darfst du dich gerne an mich und oder Dirk wenden. Genau. Weil dann haben wir vielleicht irgendwelche Tipps. Aber fang auf jeden Fall an, dich selbst ernst zu nehmen damit und ist auf jeden Fall schöner, wenn du das tust. Und die andere Person profitiert da meistens auch von. So. Final last words, Dirk?
Dirk
01:25:23
Ja, für die Zuhörenden, versucht euch selbst kennenzulernen, ehrlich zu euch selbst zu sein und dann ehrlich gegenüber anderen zu sein. Es hilft nicht, wenn ihr euch verstellt, um irgendwelchen Leuten zu gefallen, die sich auch verstellen, um euch zu gefallen. Das ist sehr anstrengend. Versucht euch kennenzulernen, Sachen an euch, die ihr nicht mögt, kann man teilweise auch verändern oder bearbeiten oder Wachstum betreiben. Und einige Sachen kann man nicht verändern. Seid da ehrlich zu, steht zu euch und guckt, wem das gefällt. Da gibt es bestimmt jemanden, der das mag.
Sonja Jüngling
01:25:51
Ah, schön. Ja, genau. Da gibt es ganz sicher jemanden, der das mag. Da bin ich von überzeugt. Dirk, es war mir eine Freude. Wirklich. Es war richtig schön. Wenn du irgendwann noch mal Lust hast, mit mir noch eine zweite Runde zu drehen über ein anderes Thema oder noch mal über dasselbe, melde dich auf jeden Fall jederzeit gerne. Vielen Dank, dass du da warst.
Dirk
01:26:09
Ja, danke für die Einladung und immer wieder gern. Ciao, ciao.
Sonja Jüngling
01:26:12
Okay, mach's gut. Tschüss. Vielen Dank, dass du bei der heutigen Folge dabei warst. Wenn du magst, dann schick uns doch gerne ein Feedback, wie sie dir gefallen hat. Und vielleicht magst du uns auch eine Frage schicken, die dich immer wieder begleitet bei dem Thema Beziehungen. Dann nehmen wir das in unsere FAQ-Folgen mit auf. Vielen Dank. Tschüss. Schön, dass du bei der heutigen Folge dabei warst. Wir freuen uns, wenn du etwas Wertvolles mitnehmen konntest. Vielleicht magst du es dir kurz notieren. Vielleicht magst du es dir kurz notieren? Was hat dich bewegt? Gab es einen Aha-Moment? Möchtest du etwas vom Gesagten umsetzen? Möchtest du uns dazu etwas mitteilen? Dann schreib uns unter podcast@sonjajuengling.de oder auf Instagramm @mopoco_podcast. Wir sind total dankbar, wenn du uns Hinweise oder Tipps gibst, die den Podcast verbessern oder meine Arbeit ergänzen können. Und wir sind dankbar, wenn du uns unterstützt, finanziell oder ganz praktisch. Und wenn du uns weiterempfiehlst. Alle Infos dazu findest du unter mono-poly-co.letscast.fm Und wir freuen uns, wenn du ganz viel Wohlwollen in die Welt und in dein Herz trägst. Denn jede Person darf fühlen, was sie fühlt und hat gute Gründe für alles, was sie tut. Also begegne jeder Person mit Wohlwollen, auch ganz besonders dir. Lass uns die Welt liebevoller und verständnisvoller machen.

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